Digitalisierung in den Public Relations - und durch PR transportiert

Dieter Georg Herbst und Thomas Schildhauer haben ein Doppelanliegen. Was kann PR leisten, um den Stand der Digitalisierung von Unternehmen zu vermitteln - und wie kann sich die Disziplin selbst die Potentiale digitaler Kommunikations-Werkzeuge zunutze machen?

Angenommen, der motivierte Sachbuchleser auf der Suche nach der nächsten Lektüre, steht in einer größeren Buchhandlung vor prall gefüllten Buchregalen mit ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Neuerscheinungen, würde er dann zu diesem Werk greifen? Noch ein weiteres Sachbuch zur Digitalisierung, dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Hype-Begriff der vergangenen Jahre? Und jetzt soll das auch noch über das PR-Feld dekliniert werden? Das wirkt auf den ersten Blick ein bisschen nach Auf-der-Welle-reiten - solange sie noch da ist.

Schaut man aber auf die Namen der beiden Autoren, dann weiß der kundige Betrachter, reinschauen lohnt. Dieter Georg Herbst und Thomas Schildhauer sind namhafte Hochschullehrer, beide als Professoren aktuell an der Universität der Künste in Berlin tätig. Herbst hat schon viele Lehraufträge national und international an unterschiedlichsten Hochschulen wahrgenommen (aktuell zusätzlich noch in Executive-Programmen an der Universität St. Gallen). Er war war 2011 in Deutschland "Professor des Jahres" (Wettbewerb der renommierten Hochschulzeitschrift UNIKUM) und hat zahlreiche anregende Bücher zur Unternehmens- und Markenkommunikation veröffentlicht. Der Informatiker Schildhauer lehrt Electronic Business und ist einschlägiger Experte für Digitales Marketing. Als Internetforscher ist er u.a. als Mit-Herausgeber des mehrfach neu aufgelegten Standardwerkes "Social Media Handbuch" (NOMOS) einschlägig. 

Autoren-Expertise ist da also mehr als genug, um den programmatischen Buchtitel in 11 Kapiteln auf 256 Textseiten (plus Anhang) mit Leben zu füllen. Das thematische Anliegen ist doppelt. Erstens: Was und wie können Public Relations beitragen, um den relevanten Stakeholdern lebendig zu vermitteln, dass ihr Unternehmen eine erfolgreiche Digitalisierungs-Reise antritt oder schon angetreten hat? Und zweitens: welche digitalen Technologien und Formate kann die PR-Disziplin in besonderer Weise als Handwerkszeug nutzen, um ihrem Job in der Gegenwart gerecht zu werden ? vor dem Hintergrund neuer, jüngeren Generationen mit dramatisch gewandelter Mediennutzung?

Da jedermann zwar Digitalisierung im Munde führt und darunter sehr Unterschiedliches zu meinen scheint, ist es wohltuend, dass Herbst und Schildhauer definitorisch grundlegen, was sie unter dem Schlüssel-Begriff verstehen: "Digitalisierung ist die Neuausrichtung von Geschäftsmodellen durch neue Technologien, um die Kundenerlebnisse an jedem Berührungspunkt (Touchpoint) mit dem Unternehmen zu verbessern" (S. 19). Dabei weisen die gemeinten Technologien zwei Wesensmerkmale auf, ihr dynamisches Tempo und ihr (unbegrenztes) Vernetzungs-Potential. Sie helfen sowohl der Optimierung des Tagesgeschäfts als auch der Erschließung neuer Geschäftsfelder, Geschäftsmodelle und Leistungen. Das Ziel der Digitalisierung ist es dabei,  "neue Technologien für völlig neue Kundenerlebnisse zu nutzen und diese gewinnbringend zu vermarkten". (S.22). Als Beispiele solcher Technologien werden als Digitalisierungstreiber benannt u.a.: Biotechnologie, Neuro- und Nanotechnologie, Mobile Technologien, Sensorik, Robotik, 3 D-Print, Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen, Drohnen etc. Mit kurzen Beispielen aus der Marketingpraxis verlebendigen die Autoren das Potential: Predictive Maintenance zeigt dem Kunden an, wann sich sein Produkt dem Ende seines Lebenszyklus nähert. Wenn der Chip im Sportschuh die aufgebrauchte Dämpfung signalisiert, beidem, Kunde und Unternehmen, dann kann der Hersteller einen neuen Schuh anbieten. Der Autofahrer wird zur Wartung gerufen. Der Konsumgüterhersteller kann während der Nutzung seines Produktes Daten erheben, und dem Kunden, darauf aufbauend, weitere Dienstleistungen ("Smart Services") anbieten, bspw. über dessen Social Media Accounts. In diese neuen Welten, die ja an vielen Stellen schon realisierte Gegenwart ist, führt das Buch gut ein. Zugleich geht es auf die damit verbundenen Änderungen in der Arbeits- und Unternehmenswelt ein. Die Arbeitsgestaltung ist im massiven Wandel. Damit verbundene Stichworte: Kollaboratives Arbeiten, Selbstorganisation, flexible Arbeitszeiten, flexible Arbeitsorte, mobiles Arbeiten, Maschinen als Kollegen u.a. werden benannt. Diese Faktoren erhalten durch die gegenwärtige Corona-Pandemie gewiss noch weitere Aufwertung.

Dies alles hat massive Auswirkungen auf Unternehmenskultur, Mitarbeiterkommunikation, modernes Führungs-Verständnis. Das Autoren-Duo macht eine zentrale Erkenntnis überzeugend klar: Die neuen Technologien funktionieren nur, ja, sie fordern geradezu eine Unternehmenskultur, die von Prinzipien der Offenheit, des Wir-Gefühls, Transparenz, Fairness, Wertschätzung und Motivation durchdrungen ist. Und hieraus ergibt sich eine klare, mehrteilige Schlussfolgerung für die Unternehmens-PR, intern ebenso wie extern.

  1. Sie muss viel mehr erklären (neue Fachbegriffe und Technologien).
  2. Sie muss viel mehr fortlaufende Orientierung schaffen und setzt dabei auf Kontinuität im Modus der Prozesskommunikation.
  3. Sie muss viel mehr Überzeugungsarbeit leisten: die Chancen der Digitalisierung als Potentiale hervorheben (angesichts einer vielfach überbetonten Gefährdung - Stichwort: Datenschutz).
  4. Sie muss mehr Beteiligung schaffen, in dem sie stärker den betrieblichen Nutzen, den Nutzen für einzelne Gruppen und für die Individuen anspricht.

Die folgenden Kapitel legen dar, wie PR das angehen ganz grundsätzlich angehen muss. Den Kennern vor allem der Bücher von Herbst wird das alles vertraut vorkomme: Anschluss an die Forschungen zur Neurokommunikation, die zwei Systeme von Daniel Kahneman (Bewusstes - Unbewusstes), die Frage, wie sprechen wir die Dimensionen im Limbischen System (Leistungs-, Bindungs-, und Machtmotiv) durch Kommunikation gezielt an? 

Eine klare Präferenz setzen Herbst und Schildhauer dabei auf die Emotionen. PR vermittelt eben nicht nur sachliche Fakten, wo bei sie hier vor allem auf größtmögliche Klarheit setzen sollte. PR hat auch die Aufgaben der Veranschaulichung. Und: Sie baut eine Gefühls- und Erlebniswelt auf, in der die Kommunikationsziele in den unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen Wirkung erzeugen. Dabei sollte sie vor allen auf Erlebnisse, lebendige Erfahrungen auf die Kunst des Storytellings und der Bilder-Welten setzen. Bezüglich des Storytellings werden die Techniken der "Heldenreise" und der "Erzählleiter" dargelegt. Dabei schöpfen die Autoren aus ihren Kenntnissen der Imagery-Forschung, die das Entstehen wirksamer innerer Bilder erforscht. Bilder und Geschichten sind die "Kommunikationsmittel des Unbewussten" (S. 113). Und: "Erlebnishafte Unternehmen sind daher bildhaft und erzählstark" (ebd.). Wie man solche Bild-Welten strategisch anlegen und mit Leben füllen kann, wird an konkreten Beispielen (Smarthome-Techniken in der Immobilienwirtschaft, Weiterbildungs-Angebot einer E-Learning-Startups) beispielhaft deutlich gemacht.

Hier auf S. 164 endet Teil 1 des Buches und das Thema 1 ist nun wirklich abschließend behandelt, Man hat ein Gefühl, wie Public Relations den Stand und die Zukunft der Digitalisierung von Unternehmen an die Stakeholder erfolgreich vermitteln könnte. Auch wenn man hier einiges aus früheren Büchern vor alle von Dieter Georg Herbst wiedererkannt hat, gilt: Komprimierte Wiederholung von relevantem Lernstoff hat noch nie geschadet.

Die folgenden knapp 90 Seiten reflektieren nun, welche konkreten digitalen Kommunikationsmittel und Handwerkszeuge der Public Relations ganz allgemein in der Zukunft nützlich sein können. Dabei steigen Herbst und Schildhauer tief in das moderne Internet sowie in aktuelle Social Media und andere mediale Phänomene ein. Und sie lassen das Potential an vielen Beispielen lebendig werden, deren roter Faden sich erkennbar durchzieht. Die besprochenen technischen und medialen Hilfsmittel zeichnen sich stets durch diese Kombination aus: Integration (mit klassischen und mit modernen Kommunikationsmitteln bzw. -Technologien), ständige Verfügbarkeit, hoher Vernetzungsgrad und betonte Interaktivität.

Die digitale PR sollte dabei 5 Ziele verfolgen, die ersten beiden qualitativ, die nächsten quantitativ: Allgemeines Image und Experten-Status des Unternehmens, Erhöhung des organischen Suchvolumens (Google), Steigerung von Reichweiten der eigenen Angebote und Accounts, das Generieren von Conversions und Leads in digitalen Angeboten. Als Erfolgstreiber in der konkreten Umsetzung nennen Herbst und Schildhauer: Redaktionspläne, interessante Content-Erstellung, Optimierung der Informations-Architektur (vor allem auf der zentralen Unternehmens-Website), ständige Optimierung der einzelnen Kanäle, Monitoring.

Vieles davon können Maschinen und Techniken leisten. Computer, Algorithmen und Softwareprogramme übernehmen Routinen, auf ständig breiter werdender, immer besserer und genauerer Datenbasis. Das verändert natürlich massiv die Organisation der PR und die Autoren stellen es gekonnt dar - in Bezug auf Rollen-Verständnis der Beteiligten, auf Prozesse, mit Blick auf IT und Unternehmenskultur.

Eines kann all diese faszinierende Technik jedoch nicht. Der menschliche Faktor des PR-Managers bleibt zentral im Spiel. Aber der Fokus seiner Aufgabe verschiebt sich: "PR-Manager werden für das Schwierige gefragt sein, für das Maßgeschneiderte, das Konzeptionelle und das Spezielle. PR.-Profis werden für das gebraucht, was der Computer nicht kann: Beziehungen herstellen und Entwickeln, Intuition durch langjährige Erfahrung nutzen und einzigartige Erlebnisse bei Mitarbeitenden, Kunden, Journalisten und Geldgebern aufbauen" (S. 229).

Im abschließenden Kapitel diskutieren die Autoren abschließend das Zukunftspotential der Digitalisierung in den unterschiedlichen Feldern von Wirtschaft, Gesellschaft, Technik und Kommunikation. Das baut vor allem auf einer zwei Jahre alten Grundlagen-Studie von Thomas Schildhauer u.a. auf. Die Potentiale werden differenziert ausgelotet. Die Autoren heben stets jeweils den zentralen Pluspunkt aber auch das Minus, das Bedenkliche in je einem Punkt pro Technologie hervor. Es werden eben nicht, wie in vielen anderen Digitalisierungs-Publikation entweder nur das Himmelhoch-Jauchzend oder nur das Gefahren-Lamento mit Blick auf Ethik und Recht orchestriert. Es werden beide Sichtweisen der Potentiale geboten. Und immer wieder an interessanten Beispielen diskutiert (u.a. Smart Products, Sharing Economy).

In dieser Form ist der letzte Teil der Publikation wirklich innovativ. Es macht das Buch vor allem als Workshop-Material für alle Kommunikationsmanager und Unternehmer interessant, die mit ihren Teams gemeinsam über die Weiterentwicklung einer erfolgreichen, aber wahrscheinlich in der Zukunft nicht mehr hinreichenden klassischen Public Relations nachdenken wollen. Das Buch ist keine Blaupause zu 1:1-Umsetzung, aber ein ebenso gedanklich anspruchsvoller wie sprachlicher klarer Ausgangspunkt für alle Praktiker der Unternehmens- und Organisationskommunikation in Leitungsfunktion. Sicherlich nicht für jeden Kommunikationsmanager geeignet. Aber für alle diejenigen, die das richtige Bauchgefühl haben, das die Public Relations der Zukunft eine gute Mixtur von Sensibilität für Unternehmenskultur und die Erfüllung individueller Bedürfnisse und Erlebnisse ebenso sein wird wie das Beherrschen von neuartiger Kommunikationstechnologie und digitalen Skills.     

Wer im Stichwortverzeichnis die Begriffe Pressemitteilung und Pressekonferenz sucht, der wird diese beiden Schlüssel einer als erfolgreiche Medienarbeit verstandenen klassischen PR nicht finden. Nichts macht deutlicher, was für eine ganz andere PR-Zukunft sich hier auftut. Sie wird viel kleinteiliger, viel individualistischer, viel schneller und noch breiter an alle Stakeholder und deren Feedbacks ausgerichtet sein.

An diese Zukunft wird man bei aufgeschlossener und aufmerksamer Lektüre des Buches als Praktiker durchaus die Frage mit einer gewissen Beklemmung stellen: Werde ich das alles hinbekommen? Aber Angst muss man vor dieser Zukunft nicht haben. Digitalisierung der Kommunikation, das ist eben nicht nur Kontrollverlust über die eigene Kommunikation und Angst vor Datenmissbrauch. Es ist eine neue Welt mit sehr viel neuartiger Herausforderung und Arbeit, aber eben auch mit vielen ganz neuartigen Chancen. Leser, die das Buch mit diesem Gefühl zuschlagen, werden Dieter Georg Herbst und Thomas Schildhauer wohl am liebsten sein. 

 

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. April 2021 auf www.markus-kiefer.eu)

 

Empfehlung

Dieter Georg Herbst/Thomas Schildhauer, Public Relations und Digitalisierung, Herbert von Halem Verlag, Köln 2020, 271 S., ISBN: 978-3-7445-1968-7, Euro 26,--

 

 

Der Beitrag ist eine Teil-Veröffentlichung aus dem neuen Buch von Markus Kiefer. Erschienen Mitte März 2021 im Rechtsverlag/Hötzel, RFS & Partner, Düsseldorf und Stadtlohn 2021

 

https://rechtsverlag.de/unternehmenskommunikation/25/kommunikations-kompetenz?c=12

 

 

 

 

Erschienen am 15/04/2021 08:09
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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