Bei Stop russischer Gaslieferung: Vorrang für die Wirtschaft oder für die privaten Haushalte? - Die PR-Nagelprobe steht bevor

Angedeutet hat sich die Debatte bereits. Was ist, wenn Russland die Gaslieferungen einstellt? Wer wird dann bevorzugt mit der vorhandenen Energie beliefert? Die gesetzlich-politische Ausgangslage ist klar. Die privaten Haushalte haben Vorrang. Wie sollte die Antwort der Wirtschaft hierzu öffentlich klingen?

Deutschlands Energieversorgung wandelt angesichts des zunehmend offenbar werdenden, brutalen Vorgehens des Aggressors auf dünnstem Eis. Wie lange kann die Politik noch den Spagat zwischen Sanktionen einerseits und unverändertem Gasbezug aus Russland noch durchhalten? Oder: wann kommt der Punkt, dass Putins Regime deutsche Entscheidungen zugunsten der Ukraine als Aktivitäten einer Kriegspartei einstuft und den Gashahn zudreht?  

Wer hat dann den Vorrang in der Gasversorgung mit den vorhandenen Reserven oder noch anderweitig möglichen Gaslieferungen? Die Ausgangslage, was Gesetz und Haltung der Regierenden hierzulande anbetrifft, ist unzweideutig: Vorrang für die Versorgung der privaten Haushalte. So ist es in der und durch die EU geregelt.

Erste sichtbare Aufbegehren gegen diese Position, beispielsweise kürzlich der Metallarbeitgeberverbände, versandeten genauso wie die Alarmrufe von Top Entscheidungsträgern aus der Chemiewirtschaft wie beispielsweise den CEO's von EVONIK und BASF, von NRW-Arbeitgeberpräsident Kirchhoff oder vom E.ON-Aufsichtsratsvorsitzenden. Eindringliche Warnungen, wie hier von Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft vorgetragen, verfingen so gut wie gar nicht. Ihren Warnungen vor einem sofortigen Stillstand der Wirtschaft und dem drohenden Verlust von Millionen Arbeitsplätzen im Fall des Falles, wurden in der öffentlichen Debatte sofort wirkungsvoll ausgekontert. Da reichten allein schon die Einschätzungen des Wirtschafts-Sachverständigen-Rates der Bundesregierung, die den Einbruch der deutschen Wirtschaftskraft nur im einstelligen Prozentbereich sehen (derzeit noch). Hinzu kam, die Forderungen waren inhaltlich uneinheitlich. Da fordert der eine Spitzenmanager die Gleichbehandlung von Privathaushalt und Industrie, der andere einen eindeutigen Vorrang der Wirtschaft. Eine wirkungsvoll integrierte und konzertierte Position von Wirtschaft und Industrie gibt es bislang nicht.

Jedoch, die nächste Runde dieser Diskussion steht unabweisbar bevor. Die Kommunikationsmanager der großen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände in Deutschland müssen das Thema neu denken. Ein einfaches "Weiter so!" mit russischen Gaslieferungen und demonstrativem Beifall für die Zurückhaltung der deutschen Bundesregierung in dieser Frage, wird vielleicht bei manchen Investoren punkten, bei anderen relevanten Stakeholdern jedoch ambivalent bis negativ wirken. Die Nagelprobe wäre jedoch der Moment des Stops der Gaslieferungen, von wem auch immer initiiert. Die Verantwortlichen der Wirtschaft wären schlecht beraten, wenn sie öffentlich einfach vehement die bislang geltende Vorrang-Umkehr zugunsten der Wirtschaft von Gesetzgeber und Exekutive einfordern.  Beim Aufbau einer kommunikativen Frontstellung zwischen den Interessen der Privatleute und den Notwendigkeiten des laufenden wirtschaftlichen Betriebs, bei einer öffentlichen Forderung, die Politik müsse sich jetzt entscheiden, nämlich zwischen warmen Wohnungen der Haushalte und laufenden Industrieanlagen, kann es nur einen Verlierer geben - und das werden die Unternehmen sein. 

Hier müssen ganz neue Wege gedacht und gefunden werden, die Darstellung der überlebensnotwendigen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems mit den individuellen Interessen an einer längst für völlig selbstverständlich gehaltenen Lebens-Grundversorgung in Einklang zu bringen. Nicht in Frontstellung zur Bevölkerung, sondern in neuem kommunikativen Werben um die Zustimmung der Bevölkerung für alles das, was in Wirtschaft, in der Industrie und von Unternehmen zu unser aller Existenz und nicht zuletzt zu unserem Wohlstand geleistet wird. Soll es hier zu Änderungen der europaweiten Rahmenbedingungen kommen, ist eine unabdingbare Voraussetzung ein überzeugendes Argumentieren und Werben um die Zustimmung erst weiter Kreise der Bevölkerung und folglich der politisch Verantwortlichen. Letztgenannte werden sich in dieser Frage garantiert nur dann bewegen, wenn sie ein Umdenken innerhalb der betroffenen Bevölkerung erkennen. Das anzupacken, ist eine kommunikative Herkulesaufgabe. Und mit Forderungen nach einem ruckartigen und plötzlichen Richtungswechsel der Politik ist es schon gar nicht getan. So ein fundamentales Umdenken lässt sich nur in einem mittelfristigen Diskussionsprozess aufbauen. soll es auf Dauer haltbar und belastbar sein.

Angesichts der bei Umfragen seit Jahren eher bescheidenen Zustimmungswerte der Bevölkerung zu unserem Wirtschaftssystem, in die Glaubwürdigkeit von Unternehmen und zum Vertrauen in die Top-Entscheider der Unternehmen: die PR-Nagelprobe steht den Strategen der Unternehmenskommunikation erst noch bevor. Und aus ihrem Werkzeugkasten sollten sie hierfür ein Werkzeug am besten sofort und jetzt schon entfernen: den Hammer.    

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 1. Mai 2022 auf www.markus-kiefer.eu)

Erschienen am 01/05/2022 08:00
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Auf den Punkt
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