Corporate Video als neues Leitmedium der Unternehmenskommunikation?

Hat Corporate Video das Potential zum Leitmedium der Unternehmenskommunikation? Eine Annäherung über die Rezension eines aktualisierten NOMOS-Sammelbandes.

Hat Corporate Video das Potential, als Leitmedium die Unternehmenskommunikation zu führen und den (ersten) Ton anzugeben? Wir leben zweifellos im Zeitalter der Bewegtbilder und die Mediennutzungsdaten zeigen weltweit den Vormarsch der zunehmenden Videonutzung, zumal aber nicht nur in den jüngeren Generationen. 

Kann ein Tagungsband mit Beiträgen der Beteiligten aus dem Jahr 2009 uns heute hilfreiche Antworten auf die Eingangsfrage geben? Herausgeber und Verlag waren davon offensichtlich überzeugt und legten deswegen im Jahr 2019 eine aktualisierte Fassung der Erstauflage von "You Tube und seine Kinder" aus dem Jahr 2010 vor. Achim Beißwenger hatte seine jährliche Konferenz "Audiovisual Media Days" abgehalten, die später in den Münchener Medientagen aufgegangen ist. Er gewann die Vordenker der Bewegtbild-Branche zur Publikation ihrer insgesamt 16 Beiträge.

Über manche ist die Zeit hinweggegangen, andere liest man heute noch mit großem Gewinn, da sie Reflexions- und Denkanstöße sowohl für eine moderne Organisationskommunikation zu vermitteln mögen, als auch Anregungen für die Markenkommunikation. Es soll nicht wie eine Mäkelei an der zweifelsfreien Expertise der Autoren klingen. Aber man darf schon feststellen, dass die Aufsätze zum Medienrecht (Heyer), zu Technologie-Entwicklungen (Henseler und Borsi/Westermann), zu Mediennutzung von Bewegtbildern allgemein (Graf) und zu Corporate Video-Nutzung speziell (Eichsteller/Wiech), Entwicklungen in der Online-Werbewirtschaft (de Buhr/Tweraser) im Grunde veraltet sind. Einfach weil die Daten zu alt sind. So wertvoll im Einzelnen auch die Anlage und Methodik der vorgestellten Studien sind, z.B. diejenige von Harald Eichsteller, der als Professor für Internationales Medienmanagement und Elektronische Medien an der Hochschule der Medien (HdM) nun wirklich vom Fach ist. Aber es gibt inzwischen eben wesentlich aktuellere Zahlen. Auch Beiträge wie den abschließenden von W & V-Redakteur Leif Pelikan mit Prognosen zu den Entwicklungen des Mediums Video und zur Entwicklungen der Online-Medienwirtschaft sind heute im Grunde wertlos. Nur bedingt von heutigem Erkenntnis-Wert sind auch die beiden Case Studies zum Webserien-Portal "3 min" (Wagner) und über das Social Media-Portal "My Space" (Urban) Letzteres ist ja eher von mediengeschichtlichem Interesse bzw. für ein deutsches Publikum ohne echten Belang, da das Portal vor allem in Nordamerika populär war. Immerhin vermittelt der Beitrag ansatzweise das Gefühl für die Erstellung von wirkungsvollem seriellen Bild-Content.  

Etwas anderes könnte man über die genannten Beiträge urteilen, ließe man die Autoren bei einer Neuauflage ihre damaligen Prognosen (selbst-) kritisch neu evaluieren. Dieser Weg hätte ja nahegelegen. Denn Achim Beißwenger als Herausgeber hatte die wirklich intelligente und innovative Idee, jedem seiner Autoren am Ende ihrer Beiträge zwei originelle  Fragen zur persönlichen Mediennutzung zu stellen und ganz zuletzt eine Frage mit Prognose-Wert: Welche Vision verbinden Sie persönlich mit Bewegtbild im Internet?  Es wäre ungemein reizvoll gewesen, wie die Autoren das Eintreffen oder Nicht-Eintreffen ihrer Prognosen nach zehn Jahren bewerten. Ob der NOMOS-Verlag seinen Herausgeber und Autor bei einer weiteren Auflage dazu bewegen kann?

Wünschenswert wäre das. Denn der Band enthält ja eine ganze Reihe von Beiträgen, deren Substanz weit über die Darlegung aktueller Daten und Entwicklungen hinausreicht. Fünf davon seien genannt und gewürdigt. An erster Stelle ist der Beitrag von Thomas Mickeleit zu nennen. Der langjährige Kommunikationschef von Microsoft Deutschland, davor von IBM und Volkswagen, ist heute als Honorarprofessor in der Lehre für Corporate Media und Interne Kommunikation und als Berater tätig. In einem heute noch lesenswerten Beitrag zeichnet er die Entwicklung des ursprünglichen Firmen-TV z.B. der Deutschen Bahn zur Corporate Video in all seinen vielschichtigen Facetten im Intranet, in den dialogischen  Formaten der Videokommunikation und als tragende Säule moderner Wissensvermittlung faszinierend auf. Dabei räumt er erfrischend mit der Vorstellung bzw. Aufgabenteilung  auf, für den Transfer von Informationen gäbe es Texte und für die Emotionen dann die Videos - eine völlig verkürzte Wahrnehmung des Leistungsvermögens der Bewegtbildkommunikation: "Diesen Dualismus von rationalen und irrationalen, von vernunftgerechten und gefühlsorientierten Medien hat man im Mainstream der heutigen Medientheorie hinter sich gelassen. Auch Bewegtbilder - ob Film, Television oder Video - haben eine Erkenntnisfunktion. Sie erlauben eine äußerst schnelle, intuitive und assoziative Orientierung" (S. 99). In diesem Beitrag wird wirklich das Potential von Corporate Video als Leitmedium spürbar. In einer weiteren Neuauflage des Sammelbandes könnte Mickeleit oder andere Autoren dann die aktuellen Entwicklungen rund um den Corporate Newsroom als Bestätigung ihrer Thesen noch mit aufnehmen. Das könnten zum Beispiel auch Marc Mielau und Axel Schmiegelow tun. Der eine ist BMW-Kommunikationsmanager und der andere erfahrener Manager in der Digitalwirtschaft. Beide beschreiben in ihrem Beitrag die auch heute noch beispielgebende Leistung von BMW im Feld der Bewegtbildkommunikation. Sie berichten u.a., die Erfolgsgeschichte der damaligem Pionier-Leistung der Münchener mit "BMW-Films", jener seriellen, turboschnellen, prickelnden Kurzgeschichten von Starregisseuren um einen Hollywood-Filmstar, die das Werbevideo für Autos in eine neue Dimension hob. Und ebenso wegweisend war die Entwicklung von BMW-TV, die kompakt nacherzählt ist. Auch dieser Beitrag ließe sich gewinnbringend ergänzen und aktualisieren, wenn man den heute Maßstäbe setzenden Newsroom von BMW noch mit in die aktualisierte Darstellung einfließen ließe. Ebenfalls auch in unseren Tagen noch anregend ist der Beitrag von Gernold P. Frank über Videospiele. Der BWL-Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin ist auch genau der richtige Autor für dieses Themenfeld. Sein Schwerpunkt ist die Personal- und Organisationsentwicklung. Und genau hier wird Gamification immer stärker von Bedeutung sein. In der Personalgewinnung, in der Weiterbildung, in modernen Lern-Formaten. Franks Beitrag setzt hier die richtigen Akzente. Und ein vierter Beitrag sei noch als hoch anregend hervorgehoben. Es ist der aus großer interdisziplinärer und vor allem neurowissenschaftlicher Kenntnis geschriebene Beitrag von Ralf Drotleff über "Sound Branding". Der Experte für Musik-Marketingmaßnahmen hat namhafteste Firmen beraten und breitet diese Expertise gewinnbringend aus. Von hohem Wert ist allein schon seine Systematik und eingängige Erläuterung  der wichtigsten Sound Branding-Elemente (Logo, Scape, Song, Icon, Voice). Diese drei Seiten allein vermitteln geballte Anregungen für den Marketing-Praktiker von heute und morgen. Inspirierend weiterhin der Artikel von Michael Huh, hochkarätiger Brand Manager bei Daimler mit großer Expertise in der audiovisuellen Kommunikation. Er zeigt das Potential der Bewegtbildkommunikation im Personal Branding eindrucksvoll auf. Unternehmen kommunizieren heute ja immer stärker über Personen, dabei bei weitem nicht nur über die Männer und Frauen in CEO-Verantwortung. Die hier erläuterten Gründe und Optionen gelten mehr denn je. 

Gerade für diese genannten fünf Beiträge gelten die einschränkenden Bewertungen im ersten Teil dieser Rezension ausdrücklich nicht. Sie lesen sich allesamt frisch. Sie haben in ihrer Grundsätzlichkeit Geltung über den Tag hinaus. Und sie können auch heute noch Akzente setzen, Orientierung und Impulse geben.  

Und um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen - gerade nach Lektüre dieser fünf Artikel hat der Leser viele Argumente in der Hand, um Corporate Video als mögliches Leitmedium der Unternehmens- und vor allem auch der Markenkommunikation zu reflektieren.

Insofern würde sogar eine dritte, vielleicht um die Aspekte des Corporate Newsrooms erweiterte Neuauflage des Sammelbandes einen wirklich die Praxis anregenden Wert ergeben. Dafür noch eine abschließende Bitte an Herausgeber und Verlag. Der Band enthält eine ganze Reihe an unnötigen, ärgerlichen Silben-Trennungsfehlern, in diversen Beiträgen. Das ist unschön, gerade bei einem Band mit so hoher fachwissenschaftlicher Expertise und dies lässt sich bei erneutem Lektorat gewiss leicht ausbessern.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. September 2022 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Achim Beißwenger (Hg.), YouTube und seine Kinder. Wie Onlinevideo, Web TV und Social Media die Kommunikation von Marken, Medien und Menschen revolutionieren, NOMOS Verlagsgesellschaft, Baden-Baden zweite aktualisierte Auflage 2019, 290 S., ISBN 9-783848-751303, Euro 34,--

Erschienen am 15/09/2022 09:58
von Markus Kiefer
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