Der Doppelwumms oder: die endgültige Verhunzung der politischen Sprache?

Mit dem "Doppelwumms" hat der Kanzler einen ungewöhnlichen Sprach-Rahmen für das neueste Hilfspaket der Regierung gewählt. Nicht allen gefiel das, unter sprachlichen Gesichtspunkten.

Der Kanzler hat es sich nicht nehmen lassen. Zwar offensichtlich von akuter Corona-Erkrankung gezeichnet, wollte er seine beiden Koalitionspartner das neueste große Rettungsprojekt der Regierung jedoch keinesfalls allein präsentieren lassen und war per Bildschirm mittig zwischen Habeck und Lindner zugeschaltet. Zur Charakterisierung der Ausmaße des Hilfspakets zur Abmilderung der Energiekrise kreierte er den Begriff "Doppelwumms". Nicht allen gefiel das. Nicht wenige politischen Beobachter meinten, ein Kanzler müsse anders sprechen. Wie schon zuvor sein Wirtschaftsminister, der bei anderer Gelegenheit seinen ebenfalls live gesprochenen Satz "Die 20 Euro kriegst Du nicht, Alter" gewählt hatte, um öffentliche Forderungen nach bestimmten staatlichen Subventionen abzuwehren. 

Nicht nur das Netz, sondern auch die etablierten politischen Journalisten arbeiten sich nun seit geraumer Zeit vor allem am "Doppelwumms" von Olaf Scholz ab. Bei "Maischberger" meinte einer der politischen Kommentatoren, es sei zum Verzweifeln mit der Degeneration der politischen Sprache, wenn man, wie er, am Abend zuvor länger Thomas Mann gelesen habe. 

Dieser eher als Randbemerkung gefallene, gespielte Verzweiflungsausbruch öffnet den Blick auf ein spannendes Phänomen. Nämlich das schon länger zu beobachtende Auseinanderfallen der Mediennutzung von Journalisten einerseits und Bevölkerung anderseits. Aktuellere Studien zeigen hier ein teilweise signifikantes Abweichen. Besonders auffällig. Die Journalisten schätzen die Mediennutzung der Bevölkerung teilweise völlig falsch ein. Da sie offensichtlich glauben, diese sei 1:1 mit ihrem eignen Tun identisch.

Aber, so ist es nicht. Und insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass ein Gros der Bevölkerung Thomas Mann liest. Aus kulturpessimistischer und aus bildungspolitischer Sicht mag man das bedauern. Aber aus der fachlichen Perspektive der politischen Kommunikation gibt es natürlich viele Gründe, aktuelle politische Programme nicht in der Sprache der "Buddenbrooks" darzustellen. 

Wenn Scholz und Habeck (und ihre Berater) so formulieren, dann versuchen sie, einen sprachlichen Frame zu setzen, der außergewöhnlich ist, an die Alltagssprache einer Mehrheit andockt und etwas mit Erinnerungspotential schafft. In der Kakophonie des politischen Alltags hat nur das eine Chance, zumindest für eine Zeitlang in Erinnerung zu bleiben, was sprachlich, gedanklich oder im Bild zuspitzt.  Damit ist noch nicht gesagt, dass derlei positiv konnotiert erinnert werden wird. Ob das so sein wird, darüber entscheiden die konkrete finanzpolitische Ausgestaltung des Programms und wie viele dadurch individuell wirkungsvoll Hilfe erfahren werden.  Aber ob etwas überhaupt durch die Filter unserer täglichen Informationsüberflutung durchkommt, darüber entscheiden die sprachlichen Frames. Und die Verwendung von Alltagssprache ist dabei gewiss kein Irrweg.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 1. November 2022 auf www.markus-kiefer.eu)

Erschienen am 01/11/2022 08:40
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Auf den Punkt
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