Design und Design Thinking - und die Innovationskommunikation

Zwei Bücher aus der Management-Literatur-Klassiker-Reihe des Vahlen Verlags fokussieren den modernen Management-Ansatz des Design-Thinkings - und damit dessen Implikationen für die Innovationskommunikation.

Zumeist werden an dieser Stelle brandaktuelle Bücher mit Bezug zu Unternehmenskommunikation, Kommunikationsmanagement, PR vorgestellt. Hin und wieder genehmigt sich der Rezensent aber einen Blick auf erstklassige Fachliteratur, deren Erscheinen schon ein paar Jahre zurück liegt. Anlass dieses Mal ist eine durchaus aktuelle Reihe des angesehenen Wirtschaftsbuch-Verlags Franz Vahlen in München, der in einer eigenen Edition Management-Klassiker neu herausbringt. Nicht überraschend fanden dort schon Schlüsselwerke von Welt-Berühmtheiten wie Peter Drucker (über den effektiven Manager) oder John Kotter (Change Management) Eingang. Das bedarf kaum einer Begründung. Etwas auffälliger ist da schon die Aufnahme von zwei Büchern zum Design Thinking, da dies eine eher neuartige Management-Methode ist - jedenfalls im Vergleich zu den schon jahrzehntealten Klassikern der beiden erwähnten Management-Koryphäen. 

Ein genauerer Blick auf beide Publikationen ist da geboten - und er lohnt sich; beide geschrieben von Praxis-Pionieren, beides herausragende Berater mit Bezug zu erfolgreichen Weltunternehmen.

Der heute 88-jährige Amerikaner Don Norman war in den 90ern Spitzenmanager bei Apple und in F & E tätig, bevor er als Verhaltenswissenschaftler an renommierten amerikanischen Universitäten wirkte. Der Brite Dan Brown (74 J.) war als CEO bzw. Präsident der weltweit tätigen Beratungsfirma IDEO an zahlreichen bahnbrechenden Innovationen federführend beteiligt (u.a. die erste Apple-Maus oder bei der Entwicklung des Palm). Beide Manager und Autoren lassen sich mit ihren Büchern als Schlüssel zum Verständnis des Erfolgswegs von Design Thinking interpretieren. In der Reihenfolge greift man am besten zunächst zum Norman-Buch, das 1988 erstmals erschien und 25 Jahre später, gründlich überarbeitet, in deutscher Sprache verlegt wurde. Ungefähr zehn Jahre, bevor Chat GPT seinen Durchbruch feierte. Wie kann, ohne Einbezug solcher aktueller Entwicklungen, denn dann ein solches Buch heute noch sinnvolle Erkenntnisse vermitteln? Ganz einfach, würde Professor Norman antworten, die Prinzipien guten Designs werden immer gültig sein. Weil sie auf den Grundkenntnissen der menschlichen Psychologie aufsetzen. Und das Wesen des Menschen ändert sich nicht. 

Gutes Design, so erläutert der Autor, folgt dabei den Grundsätzen des "Human Centered Design", ein von Norman kreierter Begriff. Auf den, nebenbei bemerkt, auch der viel zitierte Marketing-Fachbegriff der "User Experience" zurückgeht. Beim Ansatz des "Human Centered Design" geht es nicht einfach um das Schaffen schöner Dinge. Das wäre ein Missverständnis. Es geht um "Produkte, die das Leben erleichtern sowie Spaß und Freude machen. Ziel ist es, ein großartiges Produkt herzustellen, eines das erfolgreich ist und von den Nutzern geliebt wird" (S. 24). Das 320 Seiten starke Buch wimmelt von solchen Beispielen. Von super prominenten Weltunternehmen aber ebenso von eher unspektakulären Beispielen, die der Autor aus seinen alltäglichen Beobachtungen aufgesammelt hat, mit einfachen Fotos dokumentiert und einleuchtend kommentiert. Dabei wird der Leser immer wieder mit dem Verständnis des menschlichen Verstands und der menschlichen Gefühle konfrontiert. Warum? "Weil Produkte dafür gestaltet werden, dass Menschen sie nutzen. Ohne ein tieferes Verständnis der Menschen neigen Designs dazu, fehlerhaft, schwierig benutzbar oder unverständlich zu sein" (S. 41). Und: "Doch schlecht designte Produkte können der Grund für Frustration und Ärger sein, ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung und vielleicht sogar des Hasses verursachen" (S. 51). Häufiger Fehler: Ein "too much". Lieblingsbeispiel des Rezensenten aus dem Buch: Der Lego-Polizist auf dem Motorrad. Als Norman ihn das erste Mal mit seinen 15 Bestandteilen zusammenbaute, gelang das spielerisch und intuitiv. Jahre später, mit dem fort entwickelten Produkt und inzwischen 29 Features, scheiterte er kläglich, sogar mit bzw. nach Inanspruchnahme einer Gebrauchsanweisung. Immer noch eine neue Option, noch eine Feature - "Featurismus" nennt der Autor diese in vielen Unternehmen latent vorhandene Tendenz - heraus kommt oft keine Verbesserung, sondern eben ein Produkt-Design, das nicht mehr intuitiv verständlich und bedienbar ist.

Scheitern wir bei Produkten, dann ist das meistens also gar nicht Folge unserer Ungeschicklichkeit, so beruhigt uns der Autor: "Ich lege Ihnen dringend nahe, Geräte zu testen, bevor Sie sie kaufen. Bevor Sie sich einen neuen Herd kaufen, tun Sie so, als würden Sie etwas kochen - mitten im Laden. Zieren Sie sich nicht davor, Fehler zu machen oder dumme Fragen zu stellen. Denken Sie daran, jedes Problem, das Sie haben, ist wahrscheinlich dem Designer zuzuschreiben" (S. 109).

Das Gegenteil passiert bei gut designten Produkten. Die wir leicht verstehen, durchschauen und schnell und sicher anwenden können. Deren Folgen: Stolz, Freude, Kontrolle, Vergnügen, ja womöglich Liebe und Zuneigung (vgl. S. 51). Die Prinzipien guten Designs werden ausführlich vorgestellt, es sind diese fünf: Affordances, Signifiers, Mapping, Feedback, Konzept. Alles bestens mit Best und Worst Practices unterlegt, beschrieben, illustriert. Signifiers zum Beispiel, sind einfache aber unmissverständlich deutliche Hinweise, Anleitungen, Beschreibungen, und sei es nur ein Pfeil neben einem Türknauf (der zwar spektakulär aussieht, aber was soll man nun tun: links oder rechts drehen, zu mir ziehen, drücken, nach oben oder unten?). Norman zeigt beeindruckende Beispiele des Funktionierens ebenso wie komplette Desaster und Scheitern bei vermeintlich einfachen Nutzungen.

Die besonderen Herausforderungen für weltweit tätige Unternehmen, deren Produkte sich ja in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Codes bewähren müssen, werden differenziert diskutiert. Folglich nimmt Norman auch die jeweils berechtigten Forderungen nach Standardisierung von Produkten vs. stärker individueller Gestaltung abwägend in den Blick.

Dem Design Thinking widmet Norman ein eigenes, das sechste Kapitel (von Insgesamt sieben), Tim Brown hingegen seine kompletten 198 Seiten, die erstmals 2009 veröffentlicht wurden. Prägnant unterscheidet er, was einen (normalen) Designer von einem Design Thinker unterscheidet: "Unser wahres Ziel liegt nicht so sehr in der Erfüllung der offenkundigen Bedürfnisse durch die Entwicklung eines noch schnelleren Druckers oder einer noch ergonomischeren Tastatur - damit mögen sich die Designer befassen. Vielmehr besteht es darin, den Menschen zu helfen, die latenten Bedürfnisse zu artikulieren, die ihnen selbst womöglich noch gar nicht bewusst sind, uns das ist die Aufgabe der Design d e n k e r (Kursivsetzung durch Brown, S. 34). Und deswegen setzt jeder gute Design Thinker nicht bei Umfragedaten an, sondern geht vor Ort und beobachtet und begleitet die Menschen und Kunden, bei dem was sie tun oder zu tun versuchen oder woran sie scheitern - umfassend in ihren Lebens- und Berufswirklichkeiten und nicht nur beim Einkaufserlebnis. Die Vorgabe eines Hoteleigentünmers mag ja sein, seine Rezeption mit einer flotten neuen Fassade auszustatten. Ein Designer würde das einfach ausführen. Ein Design Thinker würde darauf bestehen, ein paar Stunden in der Lobby zu sein, um mitzuerleben, wie von der Resie ermüdete Geschäftsleute im Hotel ankommen, wie sie sich bewegen, was sie äußern, wie sie auf die Kommunikation am Schalter reagieren. Und das ist die Konsequenz vielleicht nicht der Einbau einer neuen Rezeptionstheke, sondern einer umfassend neu gestalteten Lobby. 

Eindrucksvoll, mit vielen Beispielen aus der eigenen Beratungspraxis, führt Brown den Leser Schritt für Schritt durch die Kernprinzipen und Methoden des Design Thinking: das Beobachten, die Ideenfindung, das Brainstorming, das Experimentieren, das visuelle Denken, das Storytelling, die Szenario-Erstellung, die Fehlerkultur. Glanzstück: das Beschwören eines möglichst frühen und unkomplizierten Herstellens von einfachen Prototypen, ganz simpel, mit dem Handwerkszeug von Schere, Pappe, und Klebestift. Nicht in Kategorien von Schönheitspreisen denken, sondern ran an den Kunden und den ersten einfachen Prototypen mit ihm weiterentwickeln. Und Brown brennt für sein Thema. Es geht ihm um wesentlich mehr als das Designen von Produkten. Es geht ihm in einem umfassenden Ansatz um das Re-Design von Dienstleistungen, das Design von Erlebnissen. Von Prozessen, ja um den Einsatz von Design Thinking beim Neuaufstellen von Organisationen und Unternehmen. Beim Einsatz zur Bewältigung der großen Existenz-Fragen in Entwicklungsländern und zur Beseitigung von Hürden zur Einhaltung von Klimazielen.

Faszinierende Lektüren sind beide Bücher allemal. Inspirierend für alle Kommunikationsmanager, die mit Innovationskommunikation zu tun haben. Hier sind sie gefordert, das Management in der Königsdisziplin der integrierenden Kommunikation zu unterstützen. Denn, so Norman: "Der schwierigste Teil bei der Entwicklung eines komplexen Produktes ist das Management: all die verschiedenen Menschen, Teams und Abteilungen, die all das ermöglichen, zu organisieren, mit ihnen zu kommunizieren und aufeinander abzustimmen" (S.223). Alle in PR und externer Unternehmenskommunikation Verantwortlichen können weiterhin mitnehmen: die Radikalität jenes Ansatzes, die Bedürfnisse, das Erleben, die Emotionen, die tiefen Sehnsüchte von Kunden nicht nur immer zentral im Blick zu behalten - sondern konsequenter denn je von ihnen auszugehen. Was ohne eine starke Beteiligung im Innovationsprozess wohl (meistens) nicht funktionieren kann. Und mit Blick auf die Zusammensetzung von Teams, die ihre Unternehmen innovativ nach vorn treiben sollen: immer auf eine ganz weitreichende interdisziplinäre Zusammensetzung achten, die nicht nur klassische Schlüsselfunktionen wie Entwicklung, Vertrieb und Marketing einbezieht, sondern auch ganz neue Zugänge und Blickwinkel aufmacht. Damit nicht nur inkrementelle Innovationen möglich werden, sondern bahnbrechende.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. April 2024 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung
Don Norman, The Design of Everyday Things. Psychologie und Design der alltäglichen Dinge, Verlag Franz Vahlen, München 2016, 320 S., ISBN 978-3-8006-4809-2, Euro 29,80

Tim Brown, Change by Design, Wie Design Thinking Organisationen verändert und zu mehr Innovation führt, Verlag Franz Vahlen, München 2016, 198 S., ISBN 978-3-8006-5258-7, Euro 26,90 

 

Erschienen am 15/04/2024 08:09
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
Teilen :