Die Angst vor dem Shitstorm
Bei vielen Unternehmen läuft in ihrem Social Media Engagement die Angst vor dem "Shitstorm" mit. Das muss nicht so sein.
Die Angst vor Kontrollverlusten in der Kommunikation im Allgemeinen und im Besonderen davor, Opfer eines "Shitstorms" werden zu können, das dürften noch immer zuverlässige Begleiter bei vielen Unternehmen sein. Das hindert sie manchmal, bei Social Media richtig aktiv zu werden. Und besser unter dem Radar zu bleiben.
Nicht wenig tragen dazu die Unschärfen bei, was überhaupt ein "Shitstorm" ist, ab welcher Größenordnung man von einem solchen betroffen ist und was dann kommunikativ zu tun ist. Nicht jeder kritische Eintrag auf der Instagram- oder Facebook-Seite eines Unternehmens ist ja gleich ein Shitstorm, wenn er ein paar Likes findet oder ein paar Mal geteilt wird. Und auch eine normale, berechtigte Beschwerde, öffentlich geäußert, muss nicht gleich das ganze Arsenal der Krisenkommunikation in Gang setzen. Bei Shitstorms geht es um aggressiv bis bösartig zugespitzte Äußerungen, die im Netz lawinenartig Anklang finden und sich mit Wucht auf einen längeren Zeitraum hin gegen Unternehmen richten, mit Start In Social Media und zunehmendem Überschwappen in klassische Medien.
Das Phänomen "Shitstorm" gehört in das Feld der Krisenkommunikation von Unternehmen, bedarf aber einer speziellen Herangehensweise. Hier sind eine ganze Menge an Fragen zu klären und Vorbereitungen zu treffen, damit ein Unternehmen im Fall des Falles nicht kalt erwischt wird.
Nun ist die belastbare Literatur zum Thema eher überschaubar. Gut, kaum ein Praktiker-Ratgeber zur Krisenkommunikation hat nicht ein paar wohlfeile Vorschläge zur Tonalität in einer Social Media-Auseinandersetzung parat. Aber wissenschaftlich geprüft ist das alles nicht. Wer einen systematischen und präventiven Ansatz verfolgen will, der kann sich mit dem vor einigen Jahren als marketingwissenschaftliche Dissertation an der Universität des Saarlandes erfolgreich abgeschlossenen Ansatz von Frank Beham befassen. Eine nützliche Kurzfassung seines Modells ist in der "Essential"-Reihe bei Springer Gabler veröffentlicht. Das Bestechende an seinem Modell ist der Schwerpunkt in der Prävention. Wer Behams Ansatz umsetzt, der hat eigentlich seine Antwort für den Krisenfall schon vorbereitet.
Das von Beham geforderte Corporate Shitstorm Management besteht aus sechs aufeinanderfolgenden Schritten: 1. Vorbereitung (Setup) - 2. Situationsanalyse - 3. Wahl der Unternehmensreaktion - 4. Berücksichtigung der Stakeholderkultur - 5. Kommunikation der Reaktion - 6. Kontrolle/Überwachung der Konsequenzen.
Gehen wir kurz auf drei dieser Abschnitte ein. Das Innovative an seinem Modell ist Abschnitt 2, die Arbeit mit den 12 von ihm benannten Faktoren, die in einem Krisenfall berührt sind bzw. sein könnten. Er nennt sie "Antezedenzien". Ein Unternehmen muss dabei betrachten, inwiefern Faktoren wie beispielsweise die Macht von Stakeholdern involviert ist. Wie sehr ein Thema Dringlichkeit hat. Wie sehr beispielsweise ein Bruch oder ein Widerspruch zu den vom Unternehmen vertretenen Werten gegeben ist. Oder wie sehr die Dialogbereitschaft der Social-Media-Kritiker ausgeprägt ist. Das beruht zum einen auf dem klassischen Segmentierungs-Ansatz von Mitchell mit der Einteilung verschiedener Stakeholder-Kreise nach Macht, Legitimität und Dringlichkeit. Beham geht aber mit den insgesamt 12 Faktoren auch darüber hinaus. Betroffene Unternehmen müssen dann den konkreten Fall anhand von Skalen u.a. bewerten und die Faktoren gewichten. Das ist alles andere als trivial, setzt eine Menge Erfahrung und auch Manpower voraus, wie sie nicht in vielen Unternehmen gegeben sein dürften.
Schritt 3: Bei den Antwortstrategien ist Behams Ansatz weniger innovativ. Er schöpft das im Wesentlichen aus der Situational Communications Theory von Coombs, hat dessen 12 Strategietypen (Krisenreaktionsstrategien) aber zu fünf verdichtet: No Response - Denial - Distance - Apology - Concession. Das kennt man, wenn man die wissenschaftlich seriöse Literatur überblickt.
Hilfreich sind dann wiederum die Überlegungen in Abschnitt 5. Wie soll die Tonalität bei der Antwort sein? In Social Media muß das Statement des Unternehmens anders klingen als eine Pressemitteilung auf der Website. Responder-Hierarchie: Wer soll für das Unternehmen antworten, welche Verantwortungsstufe passt zu welcher kritischen Situation? Visibilität der Reaktion - wo genau soll die Antwort auf eine Kritik erfolgen und für soll sie sichtbar werden? Grundregel 1: den Kritikern auf dem Kanal entgegentreten, wo die Kritik zuerst geäußert worden ist. Und Grundregel 2: durch die Ausweitung der Antwort auf unnötig viele (zusätzlichen) Kanäle nicht unnötig schlafende (Medien-) Hunde wecken. Und noch weitere gute Hinweise zum Zeitfaktor (Zeitpunkt, Abstand zur geäußerten Kritik, Abstand bis zur Feststellung des tatsächlichen Schadensausmasses etc.) werden formuliert. Das sind kluge und differenzierte Überlegungen, die man nicht andernorts schon vielfach gelesen hat.
Der Vorzug von Behams Arbeit ist, dass sie auf empirisch-wissenschaftlicher Forschung beruht. Ihr Nachteil: Das Vorgehen in der Situationsanalyse ist so komplex, dass nur bestens besetzte Kommunikationsabteilugen von (sehr) großen Unternehmen überhaupt nur die Ressourcen-Voraussetzungen dazu haben dürften. Wer das nicht hat, der kann zu dem mit Recht viel zitierten Praktiker-Ansatz der Shitstorm-Skala greifen (Daniel Graf, Barbara Schwede, Mike Schwede) Der ist zwar nicht aus wissenschaftlicher Forschung, aber dafür aus realen Fällen der genannten, namhaften Schweizer Social Media-Experten erwachsen. Mittelständischen Unternehmen, Startups, Vereine etc. dürften hier einen für sie leichter umsetzbaren Ansatz finden, der auch durchaus für eine erfolgreich Umsetzung in der Praxis reicht. Behams Modell gehört eher ins Rüstzeug von Konzernen und großen Organisationen.
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. März 2023 auf www.markus-kiefer.eu)
Empfehlung
Frank Beham, Corporate Shitstorm Management. Konfrontationen im Social Web professionell managen, Springer Gabler, Wiesbaden 2015, 73 S., ISBN 978-3-658-10494-8