Die Fortentwicklung politischer Fotografie - Internet-Memes machen Furore
Eine noch relativ frisches Internet-Format macht seit Jahren zunehmend Furore, die sogenannten Internet-Memes. Sie sind vor allem in der politischen Debatte eine immer noch neuartige Ausdrucksform, auf die manche Organisation noch nicht die richtige Antwort findet. ein interdisziplinärer Sammelband widmet sich dem Phänomen.
Ein noch relativ frisches Internet-Format macht seit Jahren zunehmend Furore, die sogenannten Internet-Memes. Sie sind vor allem in der politischen Debatte eine immer noch neuartige Ausdrucksform, auf die manche Organisation noch nicht die richtige Antwort findet. Der anzuzeigende interdisziplinäre Sammelband, mit Beiträgen vor allem von deutschen Sprachwissenschaftlern, schafft hier eine anregende Orientierung.
Internet-Memes sind noch immer relativ neue Erscheinungsformen der Kommunikation im Netz. Dazu zählen Bilder, kurze Video-Clips, GIF's u.ä. Es geht stets um Bild-Text-Kombinationen, in denen vor allem Original-Photographien bearbeitet, verfremdet und mit zugespitzten Botschaften in andere Kontexte versetzt werden. Inhalte werden adaptiert, geteilt, verändert, weiterverbreitet. Es ist eine Forme der Kommunikation, die besonders gut den Ausdruck des Web 2.0 als "Mitmach-Web" wirksam zum Leben bringt. Sprachlich wird dabei mit Humor, Ironie, Sarkasmus gearbeitet, nicht selten auch mit aggressiven Formulierungen.
Das Phänomen wird in der Alltagskommunikation vor allem über Social Media ebenso sichtbar wie in der politischen Debatte.
Das vorliegende Paperback konzentriert sich auf die sogenannten Image-Macros. Das sind Bild-Text-Modalitäten, die sich in aller Regel aus drei Elementen zusammensetzen: ein Original-Photo, darüber ein Frame (oft ein fett gesetzter Begriff als Headline) und unter dem Bild eine sogenannte "Punchline", die eine knappe, zugespitzte textliche Message bringt.
Sowohl das Vorwort als auch der Einleitungsaufsatz der beiden Herausgeber Lars Bülow (Universitätsassistent am Fachbereich Germanistik, Universität Salzburg) und Michael Johann (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für digitale und strategische Kommunikation, Universität Passau) schaffen mit einem Überblick über den noch jungen Forschungsstand eine Orientierung. Das behandelte Phänomen rückt nämlich erst seit 2015 in das Interesse mancher Forscher, von denen sich viele für eine wissenschaftliche Tagung im September 2017 zusammenfanden, aus der dann dieses 247-seitige Paperback hervorging. Beide Beiträge leisten gute definitorische Grundlagenarbeit. Die Herausgeber verstehen Internet Memes als Fortentwicklung der politischen Fotografie mit modernen Mitteln der Internet-Kommunikation. Sie verkennen nicht den destruktiven Charakter vieler Äußerungen in diesem Bereich. Aber für Bülow und Johann dominieren die positiven Implikationen der Internet-Memes. Dass sie nämlich einen vor allem niedrigschwelligen Zugang zur politischen Debatte bringen. Sie erlauben Partizipation auf einfachem Weg. Man muss hier schlicht und einfach keinen elaborierten Text schreiben, um wirksam zu sein. Ein kreativer Einfall zur neuen Interpretation des Bildes und Zuspitzung in wenigen Worten genügen.
Der nachfolgende Beitrag von Wolfgang Osterroth (S. 41 ff.) charakterisiert Internet-Memes ganz allgemein als multimodale Sprache-Bild-Akte, die insbesondere mit einer Art von Humor und Ironie arbeiten, die allerdings entsprechendes Vorwissen des Adressaten über das dargestellte Medien-Ereignis bzw. des Themas voraussetzen. Nur so ist es ja möglich, die Botschaft Kontext-adäquat zu verstehen. Nur das schafft die Grundlage, das Material dann selbst sinnvoll weiterzuverarbeiten.
Der nachfolgende Beitrag von Kevin Pauliks (s. 61 ff.) geht auf die besonders wirksame Erscheinungsform der seriellen Image Macros ein, wo Beiträge inhaltlich passend aneinandergereiht werden. Er zeigt das mit konkreten Beispielen an zum Teil bitterbösen Meme-Attacken auf US-Präsident Donald Trump auf, so zum Beispiel mit der Serie "Tiny Hands" (spielt auf die relativ kleinen Hände Trumps an) oder mit der Meme-Serie "Gorilla Channel" (mit dem Hintergrund, dass der Präsident einen angeblichen 24-Stunden Fernseh-Channel mit Gorilla-Bildern regelmäßig einschaltete). Die abgebildeten Beispiele werden sehr fein analysiert. Das gilt für diesen aber ebenso für die folgenden Beispiele. Wie zum Beispiel der Beitrag von Ulrike Krieg-Holz und Lars Bülow (S.89), die einige Merkel-Memes analysieren (Z.B. die Szene mit Obama und Merkel in einer Pause während einer Pause des G 7-Gipfels im Park des Schloß-Hotels von Elmau). Beide Autoren arbeiten stark heraus, wie sehr hier spielerische Zugänge neue Bild-Text-Anordnungen schaffen und wie der zwingend auf Unterhaltung der Adressaten ausgerichtete Charakter ganz neuartige Botschaften in aktuelle politische Debatte einspielen. Manuela Krieger und Ulrike Machnyk (S.115) zeigen am Beispiel des berühmten Merkel-Satzes "Das Internet ist für uns alle Neuland", wie gezielt durch Memes die Ursprungs-Botschaften aus Zusammenhängen gerissen und neue thematische Anschlüsse konstruiert werden. Das ist ein sehr anregender Beitrag zur wissenschaftlichen Befassung mit De-Kontextualisierung und Re-Kontextualisierung. Markus Scheiber (S. 143) analysiert an Meme-Beispielen aus dem Ukraine-Konflikt, wie man allein durch scharfkantiges Selektieren von bestimmten (einseitigen) Perspektiven Prioritätensetzungen in öffentlichen Kontroversen schafft. Ähnlich ist der Beitrag Georg Weidachers (S. 167 f.), der sich u.a. mit Memes zu Merkels "Wir schaffen das!" (2015) auseinandersetzt, wo ja allein schon der wohl bleibendste Satz der Kanzlerin ein (sprachliches) Meme darstellt. Die analysierten Beispiele zeigen, wie durch die sprachlichen Mittel von Süffisanz und bitterbösem Sarkasmus und durch den Remix von Bild-Komponenten die angegriffene Position regelrecht gebrandmarkt wird. Hier werden wirklich keine Argumente gesetzt, sondern Brand-Zeichen verteilt. Auch der Beitrag von Marie-Luis Merten und Lars Bülow zeigt an konkreten Beispielen aus dem Bundestagswahlkampf 2016 und der US-Wahl 2017 eindrucksvoll auf, wie wenig an Sprache eigentlich nötig ist, um klare Standpunkte zu markieren. Und wie sehr gerade Humor zuspitzt. Gerade dieser Beitrag beweist, dass Internet-Memes gerade für solche Teilnehmer an einer Internet-Debatte geeignete Mittel sein können, die eigentlich wenig sprachmächtig und daher nicht in der Lage sind, ausgefeilte, elaborierte Texte zu schreiben. Aber so können sie sich dann dennoch beteiligen.
Der abschließende Beitrag von Anne Leisner (S. 229 ff.) bringt Studienergebnisse eines Forschungsprojekts zur Nutzer-Perspektive, ermittelt durch Interviews und Fokus-Gruppen-Gespräche. Welche Motive bewegen die Gestalter von Memes? Es sind vor allem das Bedürfnis nach Beteiligung an unterhaltenden Formaten einer Debatte, Möglichkeiten eines neuartigen Selbst-Ausdrucks und der Chance offen zu zeigen, dass man sich bestimmten Positionen und Lagern zugehörig fühlt. Es bestätigt sich der Eindruck bei der Lektüre des gesamten Bandes. Einerseits sehen wir hier neuartige, relativ einfache, spielerische Zugänge zur öffentlichen Politik-Debatte. Aber anderseits sind es eben zumeist keine argumentativen Beiträge zu einem echten Diskurs. Sondern es sind vielmehr scharfkantige Abgrenzzungen der eigenen Position und Attacken auf die gegnerische Position. Es sind Optionen eines Beharrens auf der eigenen Position und der scharfen Abgrenzung. Das sind keine Beiträge zur Wahrheitssuche.
Fazit: Parteien, Organisationen, Regierungen und Unternehmen, die sich bislang noch nicht oder zu wenig mit diesem jungen Phänomen auseinandergesetzt haben, finden hier reichlich Warnungen, welche neuartigen Auseinandersetzungen noch auf sie zukommen werden. Das sind regelrechte Kampagnen, die vor allem jene erst einmal sprachlos im Regen stehen lassen, die allein oder vorwiegend mit den klassischen Instrumenten der Medienarbeit agieren. Mit Pressemitteilungen oder Statements vor Kameras kann man auf solche Angriffe nicht antworten. Da gilt es ganz neue Wege von Antwort-Strategien und -Taktiken zu finden - und nicht zuletzt neue mediale Ausdrucksformen.
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Dezember 2021 auf www.markus-kiefer.eu)
Empfehlung
Lars Bülow/Michael Johann (Hg.), Politische Internet-Memes. Theoretische Herausforderungen und empirische Befunde = Texte und Diskurse. Herausgegeben von Ulrike Krieg-Holz. Bd. 4, Frank und Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur, Berlin 2019, 249 S., ISBN 978-3-7329-0535-5