Die Meinung der Mitarbeiter

Der Hogrefe-Verlag veröffentlicht einen wissenschaftlich äußerst fundierten Leitfaden zur Mitarbeiterbefragung.

Sich für die Meinung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu interessieren, das ist eine gute unternehmerische Grundhaltung. Noch besser ist es, wenn Unternehmensverantwortliche diese Meinungen (und Emotionen) dann auch wirklich kennen. Bauchgefühle, Intuition, Erfahrung, sind da nur ein erster Ansatz. Informelle Gespräche im Betrieb, auf dem Flur, an der Kaffee-Theke, in der Werkshalle liefern Ansatzpunkte, aber nicht das ganze Bild. Wer mehr und Verlässliches und zumindest ansatzweise Repräsentatives wissen will, muss systematisch und aufwendig vorgehen. 

Zum Beispiel mit Hilfe einer organisierten, systematischen Mitarbeiterbefragung. Wie sie in den meisten größeren und in praktisch allen börsennotierten Unternehmen inzwischen jährlich oder alle zwei Jahre (oder mindestens alle drei Jahre) als Regel-Umfrage durchgeführt wird. Schon 2018 waren das nach Studienberichten mehr als 80 % der größeren Unternehmen und Organisationen im DACH-Gebiet. Eine Tendenz zur zunehmend globalen Nutzung dieses Mediums ist ebenfalls beobachtbar.

Wie Unternehmen dies auf einem professionellen Weg organisieren und kommunizieren können, erfährt der Leser im hier anzuzeigenden Band aus der Reihe "Praxis der Personalpsychologie" bei Hogrefe. Deren Herausgeber, die Professoren Jörg Felfe, Rüdiger Hossiep, Martin Kleinmann und Heinz Schuler, bürgen ohnehin seit langem für höchste wissenschaftliche Seriosität. Dieses Urteil gilt gleichfalls für den hier vorzustellenden Band 39 der Reihe. 

Die Systematische Befragung von Mitarbeitern ist Thema verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Das Feld wird bei den Personalwissenschaftlern genauso bearbeitet wie von der Unternehmenskommunikation (Interne Kommunikation). Weiterhin haben Juristen und Psychologen je eigene Zugänge.  

Dieser Buchbeitrag wird vorgelegt von den Wirtschaftspsychologen Karsten Müller, Regina Kempen und Tammo Straatmann. Müller ist langjähriger Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Osnabrück. Kempen bekleidet seit 2021 eine gleichnamige Professur an der Hochschule Aalen. Stratmann, 2018 promoviert, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an Müllers Lehrstuhl.  Der Umfang des Paperbacks beträgt 161 Seiten, incl. umfassendem Literaturverzeichnis und Sachregister. 

Für eine zielgerichtete Ermittlung der Meinung, des Denkens und Fühlens von Belegschaften gibt es ganz unterschiedliche Kommunikations-Wege und Medien, so zum Beispiel das Führungskräfte-Feedback, Team-Befragungen, Themen-zentrierte Befragungen oder, neuerdings, die oft vierteljährlich eingesetzten Puls-Befragungen zur Ermittlung aktueller Stimmungs-Bilder. Das etablierteste Mittel ist jedoch gewiss die systematische Befragung von Mitarbeitern als Vollerhebung, hier verstanden: "Die MAB im klassischen Sinn ist eine systematische, anlassunabhängige Befragung aller Mitarbeitenden einer Organisation mit einem standardisierten Erhebungsinstrument, welches ein breit gefächertes Themenspektrum abdeckt" (S. 2). Heute geht es in modernen Organisationen um die Erfassung von Feedback auf allen erdenklichen Wegen. Und eine professionell organisierte, kommunizierte und ausgewertete Mitarbeiterbefragung dürfte hier unverändert die wertvollsten Erkenntnisse liefern.

Schreiten wir die Struktur des Bandes ab. Im Grundlagenkapitel 1 ist besonders verdienstvoll die Differenzierung der Funktionen. es gibt drei Grundfunktionen. Mitarbeiterbefragungen könnten erstens vor allem diagnostisch vorgehen. Hier geht es um die Erfassung bestimmter Inhalte aus Sicht der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das hat Verwandtschaft zu Meinungsumfragen. Grundsätzlich geht es hier um Psychologische Konstrukte wie Zufriedenheit, Engagement und Bindung. Mitarbeiterbefragungen können aber auch einen Schwerpunkt bei der Intervention haben. Hier ist der Dialog zentral und kann unterschiedliche Schwerpunkt-Funktionen mit Leben füllen, z.B. die Botschaft-, die Verbesserungs- die Kultur-Funktion. Und drittens kann eine Mitarbeiterbefragung funktional systemisch angelegt sein. Hier ist der Fokus die Nutzung von Erkenntnissen (meist Kennzahlen) im Sinne der Steuerung und Optimierung von Prozessen. In vielen Erhebungen stellen die Frage-Items dann Bezug zu allen drei genannten Grundfunktionen her. 

Kapitel 2 stellt das Buch-Thema in den wissenschaftlichen Kontext von Modellen organisationalen Lernens und Kapitel 3 ("Analyse und Handlungsempfehlungen") beschreibt die grundsätzliche strategische Herangehensweise an eine systematische Befragung und benennt Erfolgs-Faktoren ebenso wie erfolgskritische.

Herzstück des Buches ist das umfassende Kapitel 4 (S. 30-119), wo Schritt für Schritt, sehr detailliert und konkret, die Durchführung der Befragung beschrieben ist, unterfüttert mit einer ganzen Reihe konkreter, Praxisnaher Tabellen und Schaubilder. Für die Praktiker bleibt hier kein wesentlicher operativ nötiger Schritt im Unklaren. Diese Feststellung gilt, selbst wenn für die Durchführung in dem ein oder anderen Unternehmen sicher die Einschaltung externer Dienstleister unverzichtbar bleiben wird. Ein besonderer Verdienst der Arbeit von Müller/Kempen/Straatmann ist, wie sehr sie die Aufmerksamkeit der Leser auf die Folgephase der Befragung lenken. Denn ernst nehmen werden Belegschaften ihre Befragung ja nur dann, wenn sie das sichere Gefühl gewinnen, ihre Meinung interessiert und zählt wirklich. Das werden sie nur, wenn die Ergebnisse zeitnah, transparent und umfassend veröffentlicht werden und diese Ergebnisse dann auch sichtbar in unterschiedlichen Formaten von Folgeveranstaltungen diskutiert, reflektiert werden - und wenn sie sinnvolle Konsequenzen und Anschluss-Entscheidungen generieren.

Bei aller wissenschaftlichen Gediegenheit und Genauigkeit, der Band bleibt stets praxisnah. Und dies Praxisnähe wird abschließend verdichtet im Kapitel 5, in dem verschiedene Unternehmens-Kooperationspartner Cases zu Einzelaspekten bereits durchgeführter Befragungen in ihren Unternehmen verfasst haben. Spannende Themen sind hier vertreten: die Entwicklung eines Fragebogens in mittelständischen Unternehmen, die Vorbereitung der Führungskräfte als Schlüssel-Faktoren oder ein Stakeholder-spezifisches Reporting im Folgeprozeß. Die Beispiele kommen aus verschiedenen mittelständischen Unternehmen, aus DAX 40-Konzernen und der Deutschen Bahn.

Fazit: Das hier zu rezensierende Buch bringt den wissenschaftlichen State of the Art zum Thema. Der Verlag nennt auf dem Bucheinband eine lange Liste von potentiellen Lese-Interessenten. Das mag alles zutreffen. Aus Sicht des Rezensenten: Für Unternehmen, die das Instrument Mitarbeiterbefragung schon regelmäßig einsetzen, wird es vermutlich "nur" wissenschaftliche Bestätigung ihrer Praxis bringen. Wobei das ja nicht wenig ist. Für Unternehmen, die das Instrument bisher erst einmalig oder nur vor längerer Zeit eingesetzt haben oder die grundsätzlich über eine Einführung des Instruments nachdenken, denen sei das Buch als "Must read" nahegelegt.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Dezember 2022 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Karsten Müller, Regina Kempen/Tammo Straatmann, Mitarbeiterbefragung. Organisationales Feedback wirksam gestalten, Hogrefe, Göttingen 2021, 161 S.. ISBN 978-3-8017-3016-1, Euro 26,95     

 

Erschienen am 15/12/2022 08:57
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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