Einstellungen und tatsächliches Verhalten - wie eindeutig sind Zusammenhänge?

Die "Theory of Planned Action" und die "Theory of Planned Behavior" konstruieren wesentliche Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Verhalten, was Bedeutung für die Vorhersagbarkeit von Verhalten hat.

Warum verhalten Menschen sich so wie sie sich verhalten? Aus Trieb, aus Instinkt, aus Bauchgefühl, aus Emotionen, aus Spontaneität ohne großes Nachdenken - oder als Folge von bewussten Werten und Entscheidungen? Eine Frage, die die Wissenschaft interdisziplinär schon immer umtreibt. Moderne Antworten gibt die Sozialpsychologie. Und mit diesem Lehrbuch wird eine der am besten unterlegten Theorien zur Beantwortung der Frage intensiv behandelt. Die Theorie der bewussten Aktion. Im englischen Original heißen sie "Theory of Planned Action" und die später hieraus hervorgegangene "Theory of Planned Behavior". Entwickelt wurden sie 1976 und 1980. Ihre Väter sind der weltberühmte amerikanische Psychologieprofessor und Kommunikationswissenschaftler Martin Fishbein und sein Schüler Icek Ajzen, ebenfalls Professor für Sozialpsychologie an namhaften amerikanischen Universitäten: Beide waren bzw. sind Autoren maßgeblicher Studien und zahlreichen einschlägiger Fachpublikationen, die weltweit rezipiert sind. Ausführliche Porträts zu beiden Forscherpersönlichkeiten finden sich im Buch auf den Seiten 36 und 37.

Bei den beiden verwandten Theorien geht es im Kernanliegen um die Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens aufgrund von Einstellungen. Hier werden einleuchtende Verbindungslinien gezogen: von den Absichten über die grundlegenden Einstellungen einer Person, von den sie prägenden Normen und den Einflüssen sozialer Kontrolle (wie denkt meine Umwelt über mein Verhalten) bis in das tatsächliche konkrete Verhalten hinein. Fishbein und Ajzen haben zahlreiche Folgestudien veranlasst. Diese Forschungsgeschichte bis in aktuelle Studien der Gegenwart zeichnet das hier anzuzeigende Lehrbuch minutiös auf. Verfasst hat es Constanze Rossmann, die einen Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität hat. Es zeichnet die Reihe "Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft", dessen 4. Band Rossmanns Lehrbuch ist, aus, dass in dem stets gleichen Aufbau der Bände großer Wert auf die Darstellung der Forschungsgeschichte gelegt wird. In diesem Fall ist der Überblickallerdings sehr umfassend und sehr detailliert ausgefallen. Ob die Hauptzielgruppe, Studierenden in den Disziplinen mit Kommunikations-Bezug, hiermit klarkommt, tatsächlich so tief einsteigt, echten Überblick gewinnt? Zu hoffen wäre es. Gut, dass die Verfasserin den guten Einfall an, immer wieder ein Praxisbeispiel aus dem Alltag als roten Faden auf die verschiedenen Theorieansätze anzuwenden. Als Beispiel hat sie die Nutzung des Streamingdienstes Netflix gewählt. Und das ist ganz gewiss eine Nähe zur Lebenswirklichkeit der Studierenden. Tatsächlich schafft Rossmann mit der Variation und Anwendung dieses Beispiels immer wieder eine Verlebendigung, wenn die Darstellung von Konzeptionen und Methoden Länge annehmen.

Aber es geht in dem gut 170 Seiten schmalen Band natürlich nicht nur um Forschungsgeschichte. Praxisnähe zur Gegenwart ist durchaus gegeben. Wurden doch beide Theorien vor allem vor dem Hintergrund einer wirkungsvollen Gesundheitskommunikation entwickelt. Ein Feld, in dem vor allem Fishbein einschlägig war. In den letzten Jahren sind ja unzählige Kampagnen in der Corona-Kommunikation bei vielen wirkungslos gewesen. Warum? Hintergründe und vor allem Alternativen, wie man es besser machen kann, finden sich gewiss in manchen Detailstudien, die in diesem Buch zumindest interessant angerissen sind. Und eine achtstufige Blaupause, einen Leitfaden für wirkungsvolle Kampagnenplanung in der Gesundheitskommunikation findet sich in dem Buch ebenfalls, konzipiert von Fishbein u.a. (Seite 106). Vielleicht sollten die Planer in unseren Gesundheitsministerien und Gesundheitsämtern, In RKI, Helmholtz-Institut und Virologie-Lehrstühlen einmal in diese Systematik stärker eindenken - und nachlesen, was hier vorgedacht wurde, um Gesundheitsbewusstes Verhalten zielgruppengerecht zu konzipieren. 

Aber auch das Mediennutzungsverhalten lässt sich mit den Ansätzen beider Theorien befruchten. Eine gewisse Verwandtschaft zum ebenfalls viel zitierten und in dieser Lehrbuchreihe ebenfalls schon vorgestellten Konzept des Uses-And-Gratifications-Ansatzes ist unverkennbar.

Die Theorien der bewusst geplanten Aktion und des bewusst geplanten Verhaltens haben natürlich auch grundsätzliche Kritik erfahren. Die Nähe zum Ansatz des Homo Oeconomicus ist gegeben. Aber eben das steht ja spätestens seit den Erkenntnissen der modernen Psychologie und Verhaltensökonomie stark in Frage (Kahneman, Tversky, Thaler). Beide Theorien legen eben den (stets) bewusst Handelnden zugrunde. Die Wirklichkeit in den Märkten ist aber nicht so. Beide Theorien lassen Faktoren wie Emotionalität und Spontaneität etwas zu sehr links liegen. Dem allen gibt Rossmann angemessenen Raum.

Die Kommunikationswissenschaften können ihre Bedeutung für gegenwärtige Realität immer dann reklamieren, wenn sie als empirische Sozialwissenschaft methodisch sauber arbeiten und hieraus Theorie generieren - und darüber hinaus vielfach belegt und bestätigt sind. In dieser Beziehung dürften die "Theory of Planned Action" bzw. "Theory of Planned Behavior" Spitzenplätze beanspruchen. 

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. März 2023 www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Constanze Rossmann, Theorie of Planned Action - Theory of Planned Behavior, NOMOS, Baden-Baden, 2. aktualisierte Auflage 2021, 173 S., ISBN 978-3-8487-4576-0, Euro 24,00

 

 

 

Erschienen am 15/03/2023 08:21
von Markus Kiefer
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