Feiert den Störenfried!

Sie stehen kurz vor einer wichtigen Präsentation Ihres neuen Premium-Produktes. Ihre besten Kunden warten schon vor der Tür auf Einlaß. Und plötzlich, hebt eine Mitarbeiter die Hand und stoppt den Prozeß. Er hat ein Störgefühl. Was tun Sie?

Nehmen wir an, Sie stehen kurz vor einem enorm wichtigen Kundentermin. Sie haben Ihr Premiumprodukt auf die nächste Stufe gehoben. Das Event zur Präsentation vor Ihren besten Kunden ist von langer Hand geplant. Ihre Kunden warten schon vor der Tür des Vorführraums vorfreudig auf Einlass. Nur noch ein paar Minuten. Noch eine letzte technische Durchsicht. Da hebt ein Mitarbeiter die Hand. Und ruft: "Stopp! Wir können nicht loslegen! Da stimmt was nicht. Ich glaube, da fehlt etwas. Wir müssen alles noch einmal von vorn durchgehen und absuchen." Und das, obwohl die ganze Vorführung schon x-mal durchgespielt und geprobt worden ist. Was würden Sie tun? Beifall klatschen? Wohl kaum. Zu wichtig ist der Erfolg und der Eindruck bei den Kunden. Jetzt auf ihn hören? Die ganze Vorführung abblasen? Ihm folgen? Die Bedenken des Störenfrieds aufnehmen? Oder einfach darüber weggehen?

Wie wertvoll sind Mitarbeiter dieser Art für ein Unternehmen? Sie sind wertvoll, sehr sogar! Es sind genau diese Mitarbeiter, die zarte Vorboten einer potentiell schwerwiegenden Krisensituation frühzeitig erkennen können. Weil sie einen Sinn für Gefahr haben. Weil sie besonders sorgfältig und umsichtig sind. Weil sie schon schwache Signale als Vorreiter eines zukünftigen Unglücksfalles erkennen. Und weil sie diese dann nicht verschweigen, sie nicht vertuschen. Sondern zum Thema machen.  

Dazu eine wundervolle Geschichte, die wir Catherine Tinsley verdanken, Management- und Leadership-Professorin an der Georgetown University, Washington.  Sie berichtetet diese Geschichte aus dem amerikanischen Militär: "Ein Soldat auf einem Flugzeugträger entdeckte bei einer Kampfübung, dass er ein Werkzeug an Deck verloren hatte. Er wusste, dass dieses Teil eine Katastrophe verursachen könnte, wenn es in ein Triebwerk gesaugt würde ... er meldete seinen Fehler, die Übung wurde gestoppt, und alle Flugzeuge in der Luft wurden zu Stützpunkten umgeleitet (natürlich zu erheblichen Kosten). Doch anstatt für seinen Fehler bestraft zu werden, wurde der Mann für seine Tapferkeit bei der Meldung gelobt - von seinem befehlshabenden Offizier in einer feierlichen Zeremonie" (zitiert nach Chris Clearfield/András Tilcsik, Wenn der schwarze Schwan erwacht, Harvard Business Manager 8/2018, S. 80).

Man merke auf, der Mann wurde nicht gefeuert, sondern gefeiert! Noch einmal, wirklich eine Feier für denjenigen, der uns gezwungen hat, die gesamte komplexe Übung abzubrechen und stattdessen jeden Fleck eines überdimensionalen Decks abzusuchen, um ein einziges verlorenes Werkzeug zu finden?  Hätten Sie auch so reagiert? 

Ich bewundere sowohl den Soldaten mit der Fehlermeldung als auch den Offizier, der die Feier-Zeremonie angeordnet hat. Das ist eine Organisationskultur, die mein Vertrauen finden würde.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 1. April 2023 auf www.markus-kiefer.eu) 

Erschienen am 01/04/2023 08:47
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Auf den Punkt
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