Führen unterschiedlicher Persönlichkeiten - Typen, Selbsteinschätzung, Fremdwahrnehmung via DISG-Modell

Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter ist eine einzigartige Persönlichkeit, ein besonderer Typ. Will man sie nicht alle über einen Kamm scheren, bedarf es einer individuellen, differenzierten Führungskräftekommunikation.

Wann eigentlich beschäftigt man sich in Unternehmen genau mit der Persönlichkeit jeder einzelnen Mitarbeiterin, des einzelnen Mitarbeiters? Na klar, im Bewerbungsprozeß, bei der Auswahl und bei der Einstellung. Personalverantwortliche machen sich eine Bild vom Typus des Neuankömmlings. Sie fragen sich und die Kandidaten im Gespräch, wie die Passung von Person und Unternehmen ist. Geht man die Sache systematisch an, kommen Persönlichkeits-Tests ins Spiel. Deren gibt es viele. Ein bei vielen Personalverantwortlichen populärer Ansatz ist das DISG-Modell, Thema des hier anzuzeigenden GABAL-Buches.

Der Autor ist kein wissenschaftlich arbeitender Psychologe, sondern ein sehr erfahrener Praktiker. Georg Dauth ist Trainer und Berater. Er arbeitet seit langem mit dem Ansatz, der ursprünglich aus den USA stammt. Dauth ist deutscher Lizenznehmer eines amerikanischen Bildungsunternehmens für die Zertifizierung des DISG-Persönlichkeitsprofils.

Die Einfachheit des Ansatzes dürfte Hauptgrund seiner Verbreitung sein. Es teilt Menschen in vier grundsätzliche Typen ein. Die ersten beiden sind eher extrovertiert: D steht für dominante Typen, I für initiative Typen. Die beiden anderen sind eher introvertiert. Hier stehen die deutschen Initialen S für stetige Typen, und G für gewissenhafte Typen. Man darf grob klassifizieren: die ersten beiden sind eher Menschen-orientiert, die beiden anderen eher Aufgaben-orientiert. In der verbreiteten Praxis werden oft plakativ mit Farben verbunden. Der dominante Typ z.B. ist dann rot etc.

Sucht man lexikalisch erste Annäherungen an dieses Modell, dann werden diese vier Typen häufig durch eine reine Listung von Attributen kategorisiert. Das Besondere hingegen an Dauths Publikation: Er beschreibt diese vier Ausprägungen in sehr lebendigem, jeweils seitenlangem Fließtext (Kapitel 2). Das ist das erste, positiv hervorzuhebende Spezifikum des Buches. Dadurch entstehen sehr markante Persönlichkeits-Bilder vor den Augen des Lesers. Wer sich ein wenig im modernen Marketing auskennt, dem kommt dies vertraut vor, nämlich aus den Personas-Beschreibungen idealer Kunden-Typen in den jeweiligen Zielmärkten. Nur sind Dauths Porträts der vier Typen deutlich ausführlicher, dadurch auch genauer und prägnanter.    

Das DISG-Modell ist eigentlich ein Persönlichkeits-Test, der auf Selbsteinschätzung von Kandidatinnen und Kandidaten beruht. Hierauf geht der Autor allerdings kaum ein. Er arbeitet sozusagen direkt mit den idealtypischen Ergebnissen und wendet diese auf die Führungskräftekommunikation an. Und das ist die zweite, sehr positiv zu würdigende Besonderheit des Buches. Es steckt in Kapitel 5. Denn hier hat Dauth acht typische Umsetzungsfelder von Führungskräftearbeit ausgewählt und dekliniert jeweils durch, wie die je unterschiedliche Kommunikation gegenüber den vier unterschiedlichen DISG-Typen jeweils angelegt sein müsste, um den individuellen Unterschieden effektiv zu begegnen. Diese 8 Führungs-Kompetenzen sind: Entwickeln von Mitarbeitern, Motivieren von Mitarbeitern, Lösen von Problemen, Treffen von Entscheidungen, Klug kommunizieren, Leistungen korrigieren/steigern, richtig delegieren, beraten und coachen. Was der Autor hier leistet, das ist wirklich innovativ und wird viele Leser aus dem Kreis von Führungskräften inspirieren können. Allerdings hat die Form der Darstellung, bei aller sprachlichen Lebendigkeit, auch Schattenseiten. Da das alles per Fließtext geleistet wird, hat es manches Mal Längen. Auch ist es nicht immer leicht den Überblick zu behalten. Bei einer Neuauflage würde es helfen, wenn manches Mal zusammenfassende Visualisierungen oder etwa abschließende Kern-Merksätze die jeweiligen Teilkapitel abrunden.

Und ein Zweites darf kritisch angemerkt werden. Das DISG-Modell ist vom Ursprung her alt und ist in der modernen wissenschaftlichen Psychologie, bei aller Beliebtheit in der Praxis, nicht unumstritten (Validität). Konsens der wissenschaftlich abgesicherten Psychologie ist heute eher das Big 5-Modell, worauf der Autor gar nicht eingeht. Dauth beschreibt die ursprüngliche Entwicklung vor 100 Jahren durch den amerikanischen Psychologen Marston, der auch als Vater des Lügendetektors bekannt ist. Im (nur kurzen) Literaturverzeichnis belegt er das auch. Die Weiter-Entwicklung zum heutigen DISG-Verständnis stammt aber vom amerikanischen Psychologie-Professor John Geier, University of Minnesota. Er wird zwar im Text erwähnt, aber Quellen hierzu fehlen im Literaturverzeichnis. Ebenso fehlen dort relevante Stimmen, die sich mit dem Modell kritisch auseinandersetzen.

Nun ist dieser Autor, wie eingangs erwähnt, kein Wissenschaftler im akademischen Lehrbetrieb der Psychologie. Dennoch würde seine kompetente Darstellung des Modells sicher noch souveräner wirken, wenn er die kritische Auseinandersetzung mit  dem von ihm favorisierten Ansatz nicht einfach übergeht, sondern einbezieht - und dann mit Argumenten gegenhält. Dies als Anregung an Autor und Verlag für eine überarbeitete Neuauflage, was sechs Jahre nach der letzten Überarbeitung und 11 Jahre nach Ersterscheinen des Buches sicher eine Option wäre.

Den positiven Gesamteindruck sollen diese beiden kritischen grundsätzlichen Anmerkungen jedoch nicht wegwischen. Das 170-Seiten Hardcover aus der "WHITEBOOKS"-Reihe von GABAL gibt eine Vielzahl von wertvollen Anregungen für eine moderne Führungskräftekommunikation.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. April 2023 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Georg Dauth, Führen mit dem DISG-Persönlichkeitsprofil. DISG-Wissen Mitarbeiterführung, GABAL, Offenbach 4. Auflage 2017, 177 S., ISBN 978-3-86936-438-4, Euro 19,90

Erschienen am 15/04/2023 08:13
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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