Glaubwürdig entschuldigen

Durch die Transparenz der zunehmend digitalen Öffentlichkeit stehen Wirtschaft und Politik nach Fehlleistungen schnell am Pranger der Öffentlichkeit. Nach peinlichen Fehlleistungen sind es vor allem die Spitzenmanager und Spitzenpolitiker, die vor Kameras und Mikrophone gerufen werden. Wie geht das, sich wirksam und glaubwürdig öffentlich entschuldigen?

Oft ist kommunikativer Spielraum nach publik gewordenen Fehlleistungen nur durch eine wirksame, authentische Entschuldigung in der Öffentlichkeit wieder zu gewinnen. Aber vielen unter dem politischen und unternehmerischen Spitzenpersonal fällt das ganz offensichtlich schwer. Woran liegt es? Ist es die Fallhöhe der Mächtigen? Ist es die Angst, eine Geste der Demut würde die Aura des Fehlerlosen und Unantastbaren zerstören, Autorität aushöhlen?

Fragt man unter Zeitgenossen, wem den eine solche Geste in der jüngeren Vergangenheit überzeugend geglückt ist, dann fallen wirklich nur ganz wenige Namen - und diese meistens nicht spontan. Nehmen wir drei Beispiele, aus der Wirtschaft, aus der Politik, aus der Geschichte. Rüdiger Grube, langjähriger Chef der Deutschen Bahn, galt nicht nur als deutscher Vorzeige-Manager, sondern auch als besonders geschickt und wirksam in der persönlichen Kommunikation. Als vor vier Jahren tagelang am Mainzer Hauptbahnhof tagelang massiv Zugausfälle passierten, täglich zu besichtigen in den Fernseh-Nachrichtensendungen, da gelang es dem Spitzenmanager durch geschickte persönliche Kommunikation mit einzelnen DB-Mitarbeitern vor Ort das Blatt zu wenden. Aber in der Öffentlichkeit agierte er keineswegs gleichermaßen überzeugend. "Ich entschuldige mich ausdrücklich für die entstandenen Probleme", dieser Satz kam ihm zwar über die Lippen. Aber er fiel zu früh, während die Misere noch lief. Hinzu kommt, der Satz hatte sich abgenutzt, denn Grube hatte fast dieselben Worte kurz zuvor bei der späten öffentlichen Aufarbeitung des tragischen Meschede-Unglücks benützt. Und der Satz fiel im falschen Medium. Statt der "Bild am Sonntag" wäre für ein Interview, das die meisten Bahnkunden und den Querschnitt besser abgedeckt hätte, sicher ein Fernseh-Interview zur Haupt-Nachrichtenzeit adäquat gewesen.

Als Otto Schily, früherer Bundesinnenminister, vor vier Jahren in den Zeugenstand des sog. NSU-Untersuchungsausschusses gerufen wurde, war mit Spannung erwartet worden, wie der gestandene und mit allen Wassern gewaschene Politik-Profi auf die geradezu grotesken Mängel der Sicherheitsbehörden reagieren wurde. Schily stellte sich, er wich nicht aus. Er fand markige Worte. Dass es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen sei, der "Mörderbande" rechtzeitig auf die Spur zu kommen, sei "ein höchst schockierender und äußerst bedrückender Sachverhalt, für den ich die politische Verantwortung übernehme". Das ist schon deutlich mehr als das, was oftmals an Worthülsen in solchen Momenten von der Politikerzunft zu hören ist. Aber dennoch, das Übernehmen politischer Verantwortung hört sich selbst hier noch seltsam unrund an. Und irgendwie fehlen hier der Beiklang der Demut und die Geste des Verneigens.

Es gibt ein beeindruckendes Beispiel aus der Geschichte, das die andere Möglichkeit zeigt. Bezeugt ist diese Geste von Kaiser Karl V., dem vielleicht mächtigsten Herrscher über die deutschen Geschicke, in einem Reich, das so groß war, dass die Sonne dort nicht untergehen konnte. Irgendwo schien sie immer in seinem Herrschaftsbereich. Als er, dessen Macht unbegrenzt war, freiwillig zurücktrat, tat er dies im schwarzen Gewand im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes am 25. Oktober 1555 in Brüssel, mit diesen Worten: "Ich weiß, dass ich viele Fehler begangen habe, große Fehler, erst wegen meiner Jugend, dann wegen des menschlichen Irrens und wegen meiner Leidenschaften, schließlich aus Müdigkeit. Bewusst habe ich niemandem Unrecht getan, wer es auch sei. Sollte dennoch Unrecht entstanden sein, geschah es ohne mein Wissen und nur aus Unvermögen. Ich bedauere es öffentlich und bitte jeden, den ich gekränkt haben könnte, um sein Verzeihen".

Gesprochen aus der größtmöglichen Höhe der Macht, vor Jahrhunderten, in einer der vielleicht am meisten bewegenden Szenen der europäischen Geschichte, sind diese wahrhaft großen Worte vielleicht heute nicht wiederholbar. Aber hoch beeindruckend klingen sie gleichwohl noch heute. Vielleicht können sie dem ein oder andern Kommunikationsprofi der Gegenwart Messlatte sein für besondere Momente, in denen gewichtige Worte des Bedauerns auszusprechen sind. Vielleicht findet sich ja der ein oder anderen Kommunikationsprofi, der sich diesen Text auf die Wiedervorlage für die nächsten Krisen-Workshops und Trainings legt.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 1. Juli 2018 auf www.markus-kiefer.eu)

Quellen: "Eine große Blamage für die Bahn", in: Allgäuer Zeitung Nr. 190, 19.8.2013, S. 8 Peter Stützle, Schockierender Sachverhalt. NSU: Schily übernimmt politische Verantwortung für Ermittlungspannen, in: Das Parlament, Nr. 12, 18.3.2013, S. 4 Paul Badde, Abschied in Mut, Demut und Anmut, in: Die Welt, 1.3.2013; https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article114027566/Abschied-in-Mut-Demut-und-Anmut.html (Abruf 31.7.2017)

Der Text ist ein Auszug aus meinem Buch "Unternehmenskommunikation", das im Juni 2018 im RECITO-Verlag - ist (Stand März 2021) nur noch direkt bestellbar über https://recito.de/kontakt/

Erschienen am 19/05/2019 17:33
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Auf den Punkt
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