Jede Krise ist anders - aber lernen kann man in jedem Fall

Ein Sammelband von Professor Jana Wiske, Hochschule Ansbach, analysiert 11 prominent gewordene Cases der Krisenkommunikation.

Jede Krise ist anders. Weswegen die Learnings aus einer speziellen Krise auch nicht einfach anderorts übertragen und angewendet werden könnten. In keinem Fachbuch oder Fachaufsatz zur Krisenkommunikation fehlt dieser mantrahaft vorgetragene Appell. Allerdings gibt es in der Kommunikationspraxis von Unternehmen, Institutionen, Organisationen dann doch immer wieder Krisenfälle, die so blendend im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, dass es doch lohnt, diese Fälle wissenschaftlich intensiver zu betrachten. Weil dann eben zumindest allgemeine Learnings und Einsichten abgeleitet werden können, die einer modernen, regelgeleiteten, systematischen Kommunikation auf die Sprünge helfen. Oder eben, weil sie ein erneuter, aktueller Beleg für früher vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnisse sind.

Solche Fälle hat Jana Wiske, Professorin für PR und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach, als Herausgeberin eines Sammelbandes im Jahr 2020 vorgelegt, inclusive einer kompakten Einführung zu den Basics der Krisenkommunikation aus ihrer eigenen Feder. 11 Fälle der politischen Kommunikation und der Unternehmenskommunikation, die allesamt in den fünf Jahren zuvor in eine bundesweite Aufmerksamkeit gerückt waren. Darunter die Schlecker-Insolvenz, die Flüchtlingskrise ab 2015 und die Kanzlerkommunikation dazu. Die DFB-Kommunikation um die Özil-/Gündogan-Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, die Relotius-Fälschungen im SPIEGEL und anderen Medien. Und andere spannende Fälle. Für die Analyse dieser Cases hat Wiske teilweise sehr prominente wissenschaftliche Mitstreiter gefunden, wie beispielsweise die Professoren Stefan Russ-Mohl (Universität Lugano, em.), Christian Pieter Hoffmann (Universität Leipzig) oder Christiane Goodfellow (Universität Wilhelmshaven) oder aber prominente Journalisten wie den FAZ-Sportredakteur Hanns-Christian Kamp.

Der Aufbau der Case-Analyse ist in allen Fällen gleich. Zunächst wird der Sachverhalt neutral, objektiv, faktisch und ohne Wertung geschildert. Dann die wahrgenommene Kommunikationsstrategie der Betroffenen. Danach folgt das Medienecho. Gefolgt von einer fachlich-kritischen Analyse der Kommunikationsstrategie, zum Abschluss ein von dem betroffenen Unternehmen/der betroffenen Organisation eingeholtes Experten-Statement mit rückblickender Bewertung des eigenen Tuns. Sowie ein Fazit und Quellenverzeichnis. 

Das wirklich Eigenständige an dieser Sammelband-Konzeption ist die Konzentration bei der Stakeholder-Reaktionen auf die Medien und die journalistische Öffentlichkeit sowie natürlich die rückblickende Einordnung der Betroffenen. Denn gerade dieser Rückblick ist für den mitdenkenden Leser ungemein wertvoll. Wenn er denn wirklich selbstkritisch ausfällt und konkrete Learnings für die Zukunft formuliert. Das ist in manchen Fällen wirklich beeindruckend gelungen. Beispielsweise in einem langen und nachdenklichen Interview, das DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff zur Kommunikation des Deutschen Fußballbundes um die Skandal-Fotos der Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten gab. Oder wenn die Leiterin der Unternehmenskommunikation der BASF selbst dann Verbesserungs-Potential in einer Krisenkommunikation nach einem schweren Unglücksfall mit entwichenem Gas (2016) sieht, wo sowohl die berichtenden Medien als auch die kritische Fachanalyse zum Ergebnis kam: das war eine Vorzeige-Krisenkommunikation sowohl im Umwelt- als auch im Nachbarschafts- und Anrainer-Kontext. Und deutlich weniger beeindruckend, in dem knappen Antwortschreiben von Regierungssprecher Steffen Seibert, der sich auf die Wiederholung von zwei Wortlaut-Zitaten seiner Kanzlerin beschränkte. Selbstkritisches fehlt auch in anderen Antworten von Kommunikationsmanagern, die aber dennoch sehr aussagekräftig sind. Beispielsweise in dem zitierten Markenstreit um Ritter Sports quadratische Verpackung. Hier ist der Konzernsprecher ein Jurist. Und so (defensiv und dominante juristisches Fachsprache) agiert er auch, während des Falles und ebenso in der rückblickenden Betrachtung.

Zwei Fälle sind noch besonders zu erwähnen, da sie die Krisenkommunikation betroffener Leitmedien betreffen, nämlich die des SPIEGEL im Fall seines mehrfach ausgezeichneten Starjournalisten Relotius, der sich als gnadenloser Fälscher erwies. Und die der ARD, nachdem ein bundesweit bekannt gewordener Mordfall durch einen afghanischen Flüchtling im Oktober nicht in der Tagesschau gemeldet wurde. In beiden Fällen zeigt die Analyse Licht und Schatten in der Kommunikation der Redaktionen. Auffällig ist aber: in beiden Fällen gab es offensichtlich keine Krisenprävention, keine vorbereiteten Strukturen, keine festgelegten Prozesse. Sondern viel Improvisation. Das ist deswegen bemerkenswert, weil die beiden Premium-Medien-Marken in der eigenen Kommunikationspraxis genau das offenbarten, was sie andererseits in ihrer Berichterstattung von insbesondere großen Konzernen immer wieder bemängeln: mangelhafte Vorbereitung auf Krisensituationen.

Fazit: Geeignet scheint das Buch ganz besonders für Studienzwecke in der Hochschullehre als auch für das Training bzw. Workshops von Krisenkommunikations-Teams von Unternehmen und Organisationen.

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Mai 2025 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung
Jana Wiske (Hg.), Krisenkommunikation komplex. 11 Analysen prominenter Fälle mit medialer Einordnung und Nachbetrachtung beteiligter Experten, Herbert von Halem Verlag, Köln 2020, 290 S., ISBN 9783869624662, Euro 27,--

 

Erschienen am 15/05/2025 08:31
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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