Körpersprache des Lügners
Woran ich erkenne ich, dass mein Gegenüber nicht die Wahrheit sagt- und wie reagiere ich darauf? Ein aktueller Buch-Ratgeber von der führenden Körpersprache-Expertin Monika Matschnig.
Sind Lügen per se schlecht? Man braucht eigentlich nicht mal die Bibel und die 10 Gebote bemühen. Lügen vergiften Beziehungen und Gemeinschaften, ist doch klar! Ist das so klar? Eigentlich nicht, meint Monika Matschnig in ihrem neuen Taschenbuch. Längst schon wissen wir aus wissenschaftlich gesicherten Studien, wie oft jede und jeder von uns im Alltag lügt, das ganze Spektrum nützt, von glatten Unwahrheiten über Halbwahrheiten, Ausweichen, Notlügen, halb oder gar nicht ernst gemeinten Schmeicheleien. Matschnig, gelernte Diplom-Psychologin und inzwischen höchst viel gefragte Trainerin, geht aber noch einen Schritt weiter. Eingangs des Buches zeigt sie an einer fiktiven Geschichte auf, dass Lügen in vielschichtigen Formen sogar ein Kitt sein können, der die Gemeinschaften zusammenhält. Sie lässt die Hauptperson ihrer fiktiven Handlung einfach in jedem Moment die brutale Wahrheit aussprechen. Der Riss der Beziehung, der Verlust des Jobs, das Aufkündigen von Freundschaften und die saftigen Nachzahlungen an die Finanzbehörden, Straf- und Nachzahlungen als unmittelbare Folgen. Dieser Einstieg macht erst einmal nachdenklich und zeigt auf und regt zu einem differenzierteren Umgang mit dem Thema für den privaten und beruflichen Alltag an.
Selbstverständlich nimmt Matschnig im Fortgang eine ethisch verantwortete Position ein. Sie zeigt aber auf, dass es auf die hinter einer eingesetzten Lüge stehende Motivation ankommt. Will uns jemand krass betrügen, zum Beispiel der vor uns stehende Verkäufer des von ihm hoch gepriesenen gebrauchten Wagens, der sein Gut auf jeden Fall loswerden will, die ihn durchaus bewussten Mängel kaschierend? Oder will uns das Gegenüber vielleicht einfach nur schonen und nicht weh tun? Oder will er oder sie sich vielleicht nur selbst schützen? Lügen an sich, so die Lektion, sind nicht einfach schlecht an sich. Es kommt immer auf die Motive an. Die Autorin unterscheidet zwischen "weißen", den sogenannten prosozialen Lügen, die eher Gemeinschaftsfördernd sind. Mit denen manchmal sogar Gutes bewirkt wird. Und den "schwarzen", den asozialen Lügen, also jenen, die Beziehungen und Gesellschaften vergiften und zerstören.
So lernt der Leser im ersten Abschnitt des dreiteiligen Paperbacks zunächst einmal die verbreitetsten Spielarten der Lüge (Selbstlüge, Notlüge, Geltungslüge, Skrupellose Lüge, Zwanghafte Lüge) und auch die Motive (Machterhalt, Prestige erhöhen, Vorteile verschaffen, Scham, sich selbst oder andere schützen, Bequemlichkeit, Schaden zufügen u.a.) genauer zu unterscheiden.
Im Mittelteil des Buches folgt das, was man von der Frau erwarten darf, die von ihren Verlagen als "Körpersprache-Expertin Nr. 1" bezeichnet wird. Sie beschreibt detailliert, woran ich erkennen kann, ob mein Gegenüber lügt. Das wird anhand eindrucksvoller, konkreter Beispiele unterfüttert und auch mit Fotos von Körper- und Sitz-Haltung, Mimiken und Gestiken, Bewegungen von Hand und Fuß bestens illustriert. Auch auf das Deuten von vegetativen Reaktionen (sichtbarer Schweiß als Stressreaktion) und die Bedeutung des wechselnden Klangs der Stimme oder verzögerter Reaktionen auf der Tonspur geht Matschnig ein. Dabei schärft die Autorin dem Leser aber immer wieder das Bewusstsein, nicht einzelne Signale überhöht zu bewerten. Sondern möglichst die Gleichzeitigkeit verschiedener Signale im Blick zu behalten, diese dann insgesamt und immer auch im Kontext der jeweiligen Situation, Vorgeschichte und auch des interkulturellen Kontextes zu deuten. Beispiel: Gähnt mein Gegenüber oder sagt er jetzt, dass er keine Fragen mehr hat, weil die PowerPoint-Präsentation so langweilig ist oder ist es vielleicht die Folge, dass er erst kurz einen Interkontinentalflug hinter sich gebracht hat und einfach nur ins Hotelzimmer will? Ein eindeutiger Schluss der ausgebreiteten und wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse drängt sich deutlich auf, will ich den Lügner erkennen: "Gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen Worten und Körpersprache, dann folgen Sie dem Körper. Eine dauerhafte Kontrolle unseres Körpers ist nicht möglich?" (S. 48). Aber es bleibt nicht bei grundsätzlichen Ratschlägen. Im Kapitel über die Sprache des Lügners wird konkret aufgezeigt, woran erfundene Lügengeschichte erkennbar sind (ausführliche Vorrede, dann wenig bis keine Details im Hauptteil, insbesondere nicht zu Orts- und Zeitangaben, kein erkennbarer Schlussteil, emotionsloser Vortrag), keine Sinneseindrücke). Der Vorteil des Lesers in diesem Buch: Matschnig schöpft dabei nicht nur aus langjähriger eigener Erfahrung. Sie schöpft aus hochkarätigen Quellen und Spezialliteratur. Sie kennt die Arbeiten des weltweit führenden Emotionsforschers Paul Ekman, die Arbeiten des weltweit führenden Körpersprache-Experten Sammy Molcho ebenso wie die Publikationen hochkarätiger Verhör-Experten der Kriminalpolizei. Die Gesprächs-Taktiken des geübten Lügners werden faszinierend aufgezeigt (z.B. die Überbetonung der vermeintlichen eigentlichen Ehrlichkeit, Sarkasmus, das übertriebene Sammeln von Sympathiepunkten mit Einschmeicheleien u.a.) Gerade bei der Identifikation von Lügen-Stories wird dieses beeindruckend deutlich. Eine tolle Checkliste (S. 125) fasst das sehr nachvollziehbar zusammen.
Der Anwendungsnutzen der Buch-Lektüre für den privaten Alltag liegt auf der Hand. Aber all diese Erkenntnisse sind darüber sicher auch hilfreich für die Praktiker im Kommunikationsmanagement von Unternehmen und Politik. Denkt man beispielsweise allein an die Vorbereitung von Pressekonferenzen zum Beispiel in Situationen der Krisen-PR oder an die Vorbereitung von Talkshow-Auftritten und die dort eingesetzte Mimik und Gestik führender Repräsentanten bei zu erwartenden sehr unangenehmen oder kritischen Fragen. Die Erkenntnisse der Lektüre lassen sich zur richtigen Deutung solcher Situationen ja ebenso nutzen wie für das Training des eingesetzten Spitzenpersonals. Aber auch Personalmanager werden das Buch gewinnbringend lesen. Denn in Bewerbungsgesprächen kommt es ja vielfach zu Situationen, wo der Interviewer nachbohren muss, um der Persönlichkeit und der Vita mit möglichen Brüchen auf den tatsächlichen Grund zu kommen. Was ist erfunden, was ist wahr von all dem, was dort von der Kandidatin, dem Kandidaten ausgebreitet wird?
Das letzte Drittel des Buches widmet sich der Frage des Umgangs mit den nunmehr besser durchschauten Lügnern, sehr hilfreich für eine kritische Selbst-Reflexion des Lesers. Was will ich wem und wie lange durchgehen lassen? Wo aber muss ich Stoppschilder aufrichten und auf knallharten Konfrontationskurs gehen - weil mir hier ernsthafter Schaden droht? Und am Ende (Schlusskapitel) noch einmal eine sinnvolle Ethik-Schleife: Lohnt es sich, dem Lügner zu vergeben?
Das vorletzte Kapitel fasst die Erkenntnisse des Buches kompakt und hilfreich in mehreren Checklisten zusammen.
Fazit: Eine gelungene Mischung aus Praxis-Ratgeber und Grundsatzleitlinie für ein zentrales Phänomen des privaten und beruflichen Alltags.
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Oktober 2021 auf www.markus-kiefer.eu)
Empfehlung
Monika Matschnig, Die Körpersprache der Lügner. Trickser und Schwindler entlarven, Gräfe und Unzer, München 2021, 190 S., ISBN 978-3-8338-7736-0, ? 17,99