Kernkompetenz Zuhören
Erst das genaue Zu- und Hinhören macht eine gute Kommunikation rund. Ein aktuelles Fachbuch klärt, wie das gelingen kann.
Wer kennt sie nicht, diese Alltags-Erfahrung. Wenn einem das enge Umfeld, der Partner, die Ehefrau, der Mannschaftskamerad, die eigentlich gute Freundin entrüstet entgegenhält: "Du hast mich nicht verstanden" oder noch härter "Du hast ja gar nicht (richtig) zugehört!" Es ist ja wahr, die mangelhafte Fähigkeit von uns allen, genau hinzuhören, was das Gegenüber sagt und ausdrückt und wie, in welcher Tonalität das geschieht, verhindert so oft gelingende Kommunikation. Wir haben zwei Ohren, nur einen Mund. Und dennoch konzentrieren wir uns zumeist, in der normalen Kommunikations-Situation, wenn wir selbstkritisch und ehrlich zu uns sind, auf die Vorbereitung und das wirkungsvolle Aussprechen, was uns wichtig ist. Und nicht auf das Antenne ausfahren und das genaue Hören auf das, was dem anderen am Herzen liegt.
Und so kann es eigentlich keinem von uns schaden, gelegentlich unsere Fähigkeiten im Zuhören zu verbessern. Jürgen Melmuka kann hier helfen, ein erfahrener österreichischer Kommunikations-Trainer, der sogar eine eigene "Zuhörakademie" gegründet hat. Seine Erfahrungen, Beobachtungen und Ratschläge gibt er nun in einem aktuellen Sachbuch weiter, erschienen in der ganz auf die Praxis ausgerichteten Reihe von GABAL, in der die Publikationen als Buch plus digitaler Content konzipiert sind.
Als Ausgangsbasis präsentiert der Autor ein eigenes Modell, bestehend aus drei Feldern. Er hat diesem Zuhörmodell den Namen HaTeCo gegeben. Ha steht für Haltungen, Te für Techniken und Co für Codierungen. Dem folgt auch der Aufbau des 175-seitigen Paperbacks in den ersten drei Hauptkapiteln. Ein viertes Kapitel schließt ab, in welchem die Thematik in der Gesprächskultur von Unternehmen gespiegelt wird.
Der streng akademisch-wissenschaftlich orientierte Leser muss zunächst mit etwas Nachsicht an die Sache herangehen. Denn ein Modell im wissenschaftstheoretischen Sinn ist das hier Vorgelegte nicht. In seinen einzelnen Elementen wird vielfach Alt-Bekanntes verwendet. So besteht beispielsweise der Abschnitt zur Codierung weitgehend in der Wiedergabe des Vier-Seiten-Einer-Nachricht-Modells von Schulz von Thun. Nimmt man das Ganze aber weniger als ein (neues) Modell, sondern vielmehr als einen realitätsnahen Kommunikations-Ansatz, dann erschließt sich eine lohnende Lektüre, die einem selbstkritischen Leser durchaus die Augen für eigene Defizite öffnen könnte. Als die "inneren Verhinderer" nennt und beschreibt der Autor diese Phänomene, namentlich acht: voreilige Schlüsse, Ungeduld, Egozentrik, Wettbewerb, Verteidigung, mangelhaftes Interesse, Besserwisserei und Mangel an Sympathie. Das alles behindert den Zuhörer, selbst den gutwilligen.
Dem gegenüber stehen aber sieben wirkmächtige Faktoren, die einen Zuhörer in die richtige, die bessere Form bringen könnten. Als die "Sieben Säulen wirksamen Zuhörens" benennt Melmuka: Akzeptanz, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Augenhöge, Mitgefühl, Kontrolle Sprechimpuls, Entdeckergeist/Konstruktive Neugier. Das hat der ein oder andere Leser sicher schon anderswo in der Kommunikations-Fachliteratur irgendwo und irgendwann mal gelesen. Insofern ist es vielleicht als Stoff nicht neu. Aber in diesem Buch werden diese destruktiven Phänomene ja nicht nur beschrieben. Sondern der Autor macht immer wieder konkrete Vorschläge der Umsetzung im eigenen, im alternativen kommunikativen Handeln. Beispielsweise bei der sechsten Säule (Kontrolle Sprechimpuls) bringt er die WAIT-Technik ein (Why am I talking?), die einen verzögernden Moment und die inneren, selbstkritischen Kontroll-Fragen einbaut: Warum will ich jetzt eigentlich überhaupt sprechen - muss das wirklich sein? Melmuka bringt dem Leser die Unterscheidung zwischen direktiven (lenkenden) und nicht-direktiven (öffnenden) Reaktionen auf die Äußerungen des Gesprächspartners bei. Er schlägt konkrete "Gesprächsförderer" vor und legt beispielhaft nahe, wie diese eingesetzt werden können. Den meisten werden die weiterführende oder die konkretisierende Frage oder die Paraphrase vermutlich bekannt sein. Aber wahrscheinlich schon weniger das Statement (beschreibt die emotionale Verfassung des Gegenübers zutreffend). Oder das gezielt eingesetzte "soziale Grunzen", also ganz kurze und nicht wirklich unterbrechende Interventionen wie "Aha", "Verstehe", "Was ist denn passiert"? Und das alles im Kontext der Skripttheorie der Transaktionsanalyse und Melmuka beharrt an dieser Stelle überzeugend darauf, dass in den vier Feldern allein die Variante ?"Ich bin ok - Du bist ok" konstruktive, wertschätzende Kommunikation ermöglicht.
Unterlegt wird das alles mit zahlreichen Beispielen für Situationen, Muster-Formulierungen, Übungsaufgaben (mit Lösungen). Und da es in der Reihe "GABAL Digital" erscheint, bekommt der Käufer des Buches zahlreiche QR-Codes mit weiterführenden Texten, Selbsttests, Quiz-Formaten, Checklisten und vor allem Erklär-Videos des Autors als Bonus. Zwar gibt es die Neuerscheinung nicht nur als Print und E-Book, sondern auch als Hörbuch. Aber gerade diese modernen Bonus-Elemente machen eigentlich die Printvariante besonders attraktiv, weil diese in besonderer Weise die Vertiefung, die Übung, das eigene Training befördert.
Sind die ersten drei Kapitel vor allem auf die Verbesserung der persönlichen Alltagskommunikation ausgerichtet, bekommen Personalverantwortliche in Unternehmen dann im abschließenden Kapitel 4 zusätzliche Impulse für die betriebliche Kommunikation. Hier beschreibt Melmuka, wie die vorgeschlagenen Techniken klassische Gesprächsformate wie Jahresgespräche oder Feedbackgespräche erfolgsträchtiger machen könnten. Und wie die sieben benannten Säulen wirksamen Zuhören im Kontext von agil aufgestellten Betrieben förderlich sein könnten. Oder wie sie bei der Umsetzung des Konzepts von "Psychologischer Sicherheit" (Amy Edmonton) dienlich werden. Das ist alles in hohem Maße anregend und erfreulich konkret.
Dennoch, es ist eben kein reines Praktiker-Buch, das vor allem aus eigenen Erfahrungen schöpft. Was Melmuka ausbreitet, hat wissenschaftliches Fundament. Seine Quellen schöpfen sowohl aktuelle wissenschaftliche, psychologische oder neurowissenschaftliche Forschungen aus. Auch mit seinem eigenen Modell steht er auf den Schultern wissenschaftlicher Riesen (u.a. Carl Rogers für das aktive Zuhören, die Transaktionsanalyse von Eric Berne oder die Optimismus Forschung von Martin Seligman).
Fazit: Belastbares Wissen, anwendungsfreundlich präsentiert, sowohl für die persönliche als auch die betriebliche Kommunikationspraxis anregend.
Jürgen Melmuka, Kernkompetenz Zuhören. Menschen verstehen - Missverständnisse vermeiden - Beziehungen verbessern, GABAL Verlag, Offenbach 2025, ISBN 978-3-96739-235-7, 175 S., 32,90 Euro
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. August 2025 auf www.markus-kiefer.eu)
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