Langzeitstudie: Social Media in der BtB-Kommunikation

Es gibt in Deutschland eine einzige Langzeitstudie zum Einsatz von Social Media in der BtB-Kommunikation. Die Ergebnisse der ersten 10 Jahre liegen nun in Buchform vor.

In der Social Media-Fachliteratur und mit Blick auf die Studienlage ist das Ergebnis ziemlich eindeutig. Es dominiert der Blick auf die Konsumgüterindustrie. Die Business-to-Business-Perspektive (B-t-B oder B2B) kommt oft nur am Rande und in versprengten Beispielen zur Sprache. Mit einer Ausnahme: Seit 2010 gibt es eine Langzeitstudie zum Einsatz von Social Media im BtB, hervorgegangen aus dem Arbeitskreis "Social Media in der B2B-Unternehmenskommunikation", dessen Mitbegründerin Jacqueline Althaller federführend die Studie konzipierte und seitdem in Zusammenarbeit mit der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität jährlich neu auflegt. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Kommunikationsberaterin Althaller hat nun gemeinsam mit ihrer Kollegin Meike Leipold, gleichfalls durchaus namhafte Social Media-Expertin, die Studienergebnisse im Zehn-Jahres-Vergleich als Buch veröffentlicht. Es handelt sich hier um die einzige deutsche Langzeitstudie zum Thema. Im Herbst steht die Veröffentlichung der Ergebnisse zur 13. Erhebungswelle an. 

So ist die vornehmliche Stärke dieser Publikation tatsächlich der Längsschnitt. Die Entwicklung des Einsatzes von Social Media in Unternehmen, die primär Dienstleister für andere Unternehmen sein wollen, wird hier auf wirklich bemerkenswerte Weise deutlich. Von tastenden Anfängen um den damaligen Leuchtturm Facebook, bis hin zum heutigen strategischen Einsatz eines ausdifferenzierten Social Media-Mix, zuweilen sogar als Leitinstrument der Unternehmenskommunikation genutzt.

Das Buch hat zwei große Teile. Im Grundlagenteil 1 werden die Studienergebnisse systematisch vorgestellt, immer in der Entwicklung der zehn Jahre, nach sieben Kapiteln thematisch geordnet. Im Teil 2 dominiert die Praxis-Perspektive, u.a. mit 8 Best-Practise-Cases aus der Wirtschaft, geschrieben von den dort verantwortlichen Social Media-Managerinnen und Managern sowie zwei Aufsätzen zu rechtlichen Aspekten und zu den Erfolgsregeln eines Unternehmens-Blogs. 

Doch der Reihe nach. Ein Grußwort von Professor Dr. Romy Fröhlich, Kommunikationswissenschaftlerin an der LMU, erinnert an die Gründung der Studie und zeigt ihre Entwicklung in der Zeit. Nach der Einleitung der Autorinnen zeichnet Kapitel 1 die Entwicklung der präferierten Plattformen im Zehn-Jahres-Vergleich auf. Und macht zugleich die aktuelle Entwicklung hin zum gegenwärtigen Spitzenreiter LinkedIn verständlich. Denn diese Business-Plattform dominiert heute die BtB-Szenerie, wegen ihrer Internationalität, wegen der Option des Newsfeeds und wegen ihrer Bedeutung als öffentlicher Ort für Unternehmens-Werte, für Recruiting und für den qualifizierten Special Interest-Austausch. Kapitel 2 zeichnet nach, welche Social Media-Kanäle vornehmlich gegenüber den verschiedenen Zielgruppen gewählt werden, geordnet nach prioritärer Ansprache (Prio 1, 2 und 3). Die fünf wichtigsten Kanäle LinkedIn, Facebook, Xing, You Tube und Instagram werden heute doch deutlich unterschiedlich eingesetzt, wie ein beeindruckendes Schaubild auf S. 42 es eindrucksvoll und differenziert ausweist. Beispielsweise: Mit LinkedIn werden zuallererst Geschäftspartner angesprochen, mit Instagram Influencerinnen und Influencer, mit You Tube die Bestandskunden, mit Xing die potentiellen Bewerber und mit Facebook die allgemeine Öffentlichkeit.

Kapitel 3 präsentiert die Ergebnisse zu den Prozessen, den Zuständigkeiten, den Fragen der Erfolgsmessung. Auffällige Ergebnisse: die Führung der Social Media-Kommunikation liegt hier mit knapp 70 % bei den Marketing-Abteilungen. Viel seltener wird die Aufgabe in die Hände von PR-Verantwortlichen gelegt. Und: die Unternehmen versuchen heute nicht mehr mit aller Macht, jede Wahrnehmung immer letztendlich auf die eigene Website zu lenken. Die Pflege von Social-Media-Kanälen als eigenständige Orte von Öffentlichkeit ist in ihrem Wert und in ihrer Notwendigkeit erkannt. Kapitel 4 geht auf die Bedeutung von Social Media in der Internen Kommunikation ein und sieht hier noch viel Luft nach oben. Es zeichnet sich in dem Zusammenhang zwar ein Schwerpunkt bei der Gewinnung von Mitarbeitern als Markenbotschafter/Corporate Influencer ab. Aber das ist ja im Grund mindestens genauso sehr ein Aspekt von Externer Unternehmenskommunikation.

Am ausführlichsten im Grundlagenteil ist Kapitel 5. Hier geht es um erfolgversprechende Content-Strategien. Dabei vermischt sich die Ergebnisdarstellung vielleicht manchmal ein bisschen zu stark und zu schnell mit den abgeleiteten To do-Ratschlägen der Verfasserinnen. Das ist gut gemeinter Rat, in der Sache auch hilfreich. Dennoch könnte die Ergebnisdarstellung der objektiven Studienergebnisse zuvor durchaus deutlicher abgegrenzt sein. 

Die Lektüre von Kapitel 6 sollte vornehmlich die noch nicht überzeugten Leser ansprechen. Es weist die Gründe aus, warum Unternehmen sich n i c h t in Social Media engagieren oder noch zögerlich waren bzw. es noch sind. Im zeitlichen Längsschnitt stabil sind wichtigsten Gründe: mangelnde Ressourcen, gefürchteter (zu) hoher Zeitaufwand, Unsicherheit in Bezug auf den Beitrag zum Unternehmenserfolg und heute die zunehmende Frage, ob man kontinuierlich genug interessanten Content bieten könne. Positiv hervorzuheben: die viel zitierte Angst vor einem Shitstorm ist in BtB-Unternehmen wenig ausgeprägt (15 %). 

Kapitel 7 fasst zusammen und zeigt bedeutende aktuelle Tendenzen auf. Eindeutige Ergebnisse: Drei Kanäle sind heute von tragender Bedeutung und zwar in dieser Reihenfolge: LinkedIn - You Tube - Instagram. Die bedeutsamsten Interessen-Felder sind: Recruiting, Positionieren von Influencern, Gewinnung von Thought Leadership in speziellen Themenfeldern.

Teil 2 des Buches besticht vor allem durch die Cases. Diese sind breit gestreut. Man mag die Börse München noch primär als Dienstleister für andere Unternehmen sehen. Aber das Beispiel Schokoladen-Produkt-Lunch bei Nestlé ist dann doch schon deutlich außerhalb der Buch-Thematik. Dieser kritischen Bemerkung ungeachtet, sind die Cases aber beeindruckendes Anschauungsmaterial. Von der Börse München kann man lernen, was die Vorteile einer Strategie sind, die sich auf nur einen Kanal konzentriert. Bei den Börsianern war/ist es Twitter. Aus dem Nestlé-Beitrag lernt man die Bedeutung des ausgeprägten Corporate Listening. Enger am und im BtB sind die anderen Cases. Zum Beispiel ein sehr konkreter Werkstatt-Bericht von DATEV, wo ja mit Christian Buggisch einer der führenden deutschen Social Media-Experten die Gesamt-Unternehmenskommunikation dirigiert. Ein anderer Beitrag beschreibt die Blogs bei VOESTALPINE, einem weltweit agierenden Stahl- und Technologie-Konzern. Er zeigt auf, wie sehr das Format Unternehmens-Blog noch lebt. In einer Zeit, in der große Konzerne ihre langjährig laufenden Blogs ja teilweise schon in das Format eines Online-Magazins umgewandelt haben, setzt der Beitrag einen klaren Gegenakzent. Bei VOESTALPINE ist der Blog nämlich unverändert Dreh- und Angelpunkt der Konzernkommunikation, neben der Website. Als reine Innovationsplattform gestartet, dient er heute vornehmlich dem Recruiting, der Gewinnung von Thought Leadership bei einer Reihe von Fachthemen und als Recruiting-Tool. Andere Beiträge adressieren die Investor Relations-Startup-Szene oder mit dem Max-Planck-Institut für Physik die Wissenschaftslandschaft. In beiden Fällen erweist sich erneut die aktuelle Spitzenbedeutung von LinkedIn, mit zunehmendem Interesse an Instagram. Das längste Fallbeispiel (30 Seiten) schließt sich mit SIEMENS an. Geschrieben von den Kommunikationsmanagern eines speziellen Geschäftsfeldes, gibt der Beitrag doch zugleich einen guten Gesamteinblick in die veränderte Social Media-Strategie des Technologie-Weltkonzerns. In der Münchener Konzernzentrale setzt man auf einen zentralen, globalen LinkedIn-Kanal und legt großen Wert auf die Einbeziehung der Mitarbeiter und deren Ertüchtigung zu selbstbewussten Akteuren und Botschaftern. Und wichtig ist den SIEMENS-Managern weiterhin: möglichst zunehmend selber agieren in der Kommunikation, weitgehend also ohne Agentureinkauf auskommen. Der bereits etwas kundige Leser würde sich wundern, wenn die KRONES AG nicht vorkäme. Der deutsche Maschinen- und Anlagenhersteller ist schon vielfach als Pionier der Social Media BtB-Kommunikation benannt worden. Der KRONES-Beitrag zu diesem Buch hat deswegen eine besondere Note, weil er auf Experimentieren mit den visuellen Plattformen Instagram, Snapchat und TikTok eingeht. Und die beiden letztgenannten Kanäle sind für die meisten Unternehmen ja noch völliges Neuland. Abgerundet wird der zweite Teil des Buches dann durch zwei Fach-Aufsätze über rechtliche Aspekte von Social Media-Auftritten und über die Erfolgsregeln eines Unternehmens-Blogs, letzteres kompakt verfasst von Meike Leopold, die hierzu ja bereits mit mehr als einer Buch-Publikationen einschlägig ist. Alle diese Praxis-Beispiele sind gewiss nicht 1:1 übertragbar. Aber sie dürften gerade denjenigen Kommunikations-Verantwortlichen gute Inspiration bieten, die ihre Social Media-Praxis optimieren, ihre Strategie schärfen oder gar dies erst noch entwickeln möchten.

Insgesamt zeigt das Buch auf faszinierende Weise auf, wie sich im zeitlichen Längsschnitt die Unternehmens-Denkweise über Social Media und deren Einsatz deutlich verändert hat. Von einer Phase der anfänglichen Unsicherheit, des Experimentierens mit allem und jedem, dem Nachlaufen von Hypes in einen heute gezielten, systematischen, strategischen Einsatz im Kontext des kommunikativen Managements relevanter Themen. 

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. September 2023 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Jacqueline Althaller/Meike Leopold, Aufbruch in die digitale Dimension. Wie zehn Jahre Social Media die Businesskommunikation verändert haben, Redline Verlag, München 2021, 238 S., ISBN 978-3-86881-836-9, 24,99 Euro   

 

 

 

Erschienen am 15/09/2023 08:54
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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