Maßstäbe setzend - 3. Auflage des Handbuches Unternehmenskommunikation ist erschienen
Die 3. Auflage des Handbuches Unternehmenskommunikation setzt die Benchmark fürs Fach.
Neuauflagen von wissenschaftlichen Hand- und Lehrbüchern sind allein schon bemerkenswert, weil dieses Genre an sich schon nicht das Zeug zum Bestseller hat. Riskieren wissenschaftliche Buchverlage überarbeitete Neuauflagen, dann muss die Resonanz des lesenden Publikums schon beachtlich gewesen sein. Gibt es dann sogar noch weitere Auflagen, dann muss das Produkt schon ein deutlich Überdurchschnittliches sein, in Inhalt und in Resonanz. Denn sonst gingen die Verlage den Weg nicht, schon wegen ökonomischer Risikoscheu. Und dennoch entziehen sich die allermeisten Neuauflagen solcher Werke dem allgemeinen Interesse. Oder aber sie bedienen eben nur ein spezielles Publikumsinteresse. Jedoch gibt es solche Handbücher, bei denen sehr viele Interessierte auf eine Aktualisierung und Neubearbeitung geradezu warten. Und dann ist die Publikation ein echtes Ereignis. Und, um ein erstes Fazit vorweg zu nehmen, bei dem hier zu anzeigenden Werk ist das so. Denn das Handbuch zur Unternehmenskommunikation, nunmehr in dritter Auflage vorgelegt, war schon bislang das meistzitierte und meist genutzte Buch (Downloads) im reichhaltigen BWL-Programm des führenden Wissenschaftsverlags Springer Gabler.
Dieses Handbuch wurde erstmals 2007 veröffentlicht. In zweiter Auflage wurde es 2014 thematisch schon erheblich ausgeweitet, auf ein Volumen von deutlich über 1.300 Seiten. Selbst das reichte 2022 nicht mehr aus. Verlag und Herausgeber verständigten sich auf eine Neukonzeption des Werkes in nunmehr vier Bände, von denen hier, schon aus Platzgründen, nur der einführende Hauptband mit seinen 1065 Seiten vorgestellt werden kann. In diesem ersten Band geht es um die Grundfragen der Unternehmenskommunikation, um die Strategie und das Management der Kommunikation, um die Wertschöpfung durch Kommunikation. Die drei anderen Bände sind thematisch fokussierter und behandeln wesentliche Aufgabenfelder der Unternehmenskommunikation (Investor Relations, Interne Kommunikation, Public Affairs).
Nun kann es an dieser Stelle nicht gelingen, den insgesamt 50 Beiträgen des Hauptbandes einzeln auch nur annähernd gerecht zu werden. Schon gar nicht über deren Qualität im Einzelnen zu urteilen. Denn dafür haben ja bereits die Herausgeber gesorgt, über deren strenge Qualitätsanforderungen gar kein Zweifel besteht. Zwei von ihnen, Ansgar Zerfaß und Manfred Piwinger, hatten schon die beiden ersten Auflagen organisiert. Neu hinzugekommen ist als dritte Herausgeberin nun Ulrike Röttger. Alle drei sind bekannte Branchengrößen. Ansgar Zerfaß ist Inhaber des Lehrstuhls für Strategische Kommunikation an der Universität Leipzig, Verfasser mehrerer einschlägiger Lehrbücher und nicht zuletzt als federführender Leiter der seit 2007 jährlichen, in über 80 Ländern durchgeführten Studie "European Communication Monitor" einer der international bekanntesten, renommiertesten deutschen Sozialwissenschaftler. Manfred Piwinger ist als vielfach ausgewiesener Publizist, Wissenschaftler und geschäftsführender Herausgeber der angesehenen Loseblattsammlung "Kommunikationsmanagement" eine seit Jahrzenten das professionelle Kommunikationsgeschehen prägende Persönlichkeit. Und Ulrike Röttger ist als Professorin für PR-Forschung an der Universität Münster seit langem eine der meistzitierten Stimmen in ihrem Fachgebiet.
Sowohl im gemeinsamen Vorwort der drei Herausgeber und erst recht in ihrem gemeinsamen Einführungsbeitrag "Unternehmenskommunikation in der digitalisierten Gesellschaft" (S. 3-26) wird deutlich, in welchen gewaltigen Umbrüchen sich die Profession bewähren, ihre Interessen- und Auftragskommunikation heute durchsetzen muss. Vornweg der alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche erfassende Digitalisierungsstrom. Dann die immer kritischer eingestellten Öffentlichkeiten, aufgeheizt nicht nur aber besonders durch den Siegeszug von Social Media. Die zunehmende Erregungskultur, in allen Teilen der Welt. Der Wertewandel, die Globalisierung der Wirtschaft, der Klimawandel. Dazu, zumindest in den freien Teilen der Welt, der zunehmende Zerfall, die immer stärkere Fragmentierung der Öffentlichkeit, die zunehmend abgeschotteten "Filterblasen".
Aber auch, und das sowohl in autoritären wie in freiheitlichen Staaten, die immer stärkere Normierung der Berichterstattungs-Pflichten von Unternehmen (Stichwort: CSR). In den Umwelten und Umfeldern von Unternehmen ändert sich so vieles und dies dermaßen schnell und gravierend, dass es zu einer immer anspruchsvolleren Aufgabe wird, die öffentliche Wahrnehmung der Unternehmen zu steuern und diese erfolgreich gestalten. Aber genau darum geht es in der Praxis. Es wäre ein Irrglaube, dies könne man allein mit Marketingkommunikation schaffen. Ein Irrglaube, den man in der Wirtschaft aber gar nicht so selten antrifft. Zerfaß, Piwinger und Röttger halten in ihren Beiträgen und mit dem von ihnen herausgegebenen Buch kraftvoll dagegen. Die Zeiten sind über ein einseitiges Kommunikationsverständnis vom Senden relevanter (Marketing-) Botschaften deutlich hinausgewachsen. Zuvor muss ja erst einmal der Boden für die Akzeptanz der Unternehmen bereitet sein und es kommt immer stärker darauf an, positiv und mit Sympathie aufgenommene Wirklichkeiten für die Stakeholder zu konstruieren, und dies in einer durch und durch digital-medialisierten Welt. Umso schwieriger, weil an den meisten Stellen der klassische, an Objektivität ausgerichtete Journalismus an Strahlkraft und Vermittlungs-Stärke verloren, dafür aber stark subjektiv-interessegeleitete (Fake) News-Produzenten an Reichweite vielerorts gewonnen haben.
Wie diese öffentliche Positionierung der Unternehmen zu leisten ist und wie sich dabei die Kommunikationsmanager im Gefüge ihres Unternehmens zunehmend als erfolgreiche Beiträger zur Wertschöpfung das erforderliche Bewusstsein und Raum verschaffen, dazu liefert das neu aufgelegte Handbuch zahlreiche inspirierende Beiträge. Die meisten durch sehr namhafte Wissenschaftler, zumeist langjährig etablierte universitäre Hochschullehrer, Professoren vor allem aus BWL, Kommunikations- und Medienwissenschaft u.a. Sozialwissenschaften. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien beispielhaft genannt: Günter Bentele, Sabine Einwiller, Alexander Godulla, Olaf Hoffjann, Christian Pieter Hoffmann, Diana Ingenhoff, Claudia Mast, Thomas Pleil, Lars Rademacher, Lothar Rolke, Swaran Sandhu, Bertram Scheufele, Anna-Maria Theis-Berglmaier, Kerstin Thummes, Jörg Tropp, Peter Winkler. Aber auch bereits in der Scientific Community bekannte Stimmen des akademischen Mittelbaus leisten gewichtige Beiträge. Zu Wort kommen darüber hinaus international erfolgreiche Persönlichkeiten der Praxis des Kommunikationsmanagements -, wenn sie denn ein entsprechendes wissenschaftliches Renommée aufweisen, wie beispielsweise Christoph Ehrhart (aktuell verantwortlich für die Konzernkommunikation von Bosch) oder Jürgen Häusler (ehemals Chairman von Interbrand Europe). Oder aber erfolgreiche Kommunikationsmanager in namhaften deutschen Agenturen wie Juliane Kiesenbauer (Staffbase) oder Stephan Fink (Fink und Fuchs).
Das Handbuch ist in 8 Teile gegliedert. Teil 1 ist die Einleitung der Herausgeber. Teil 2 bringt Grundlagen und Konzepte, vor allem mit Strategie-Bezug (sieben Aufsätze). Teil 3 geht auf Rahmenbedingungen ein, thematisiert dabei rechtliche und ethische Dimensionen, die stark gestiegene Herausforderung durch CSR-Fragen, aber auch neuere Phänomene wie Big Data und Digitalisierung oder den anwachsenden Stellenwert von Influencern (sechs Aufsätze). Teil 4 spricht primär psychologische Faktoren an wie Image, Reputation, Marken, Unternehmenskultur (sechs Beiträge). Teil 5 thematisiert in sieben Beiträgen den Planungs- und Evaluationsprozeß, mit Beiträgen zu u.a. Konzeption, Kampagnen, Content-Strategien, Impression Management, Issues Management und Kommunikationscontrolling. Teil 6 hat die Binnenperspektive und erörtert Fragen rund um die Aufgaben, Positionierung und Exzellenz-Sicherung von Kommunikationsabteilungen und Kommunikationsmanagern, aber auch die Rollen externer Dienstleister. Die letzten beiden Teile sind dann noch stärker auf die Praxis- bzw. auf Umsetzung orientiert. Teil 7 geht auf prominente Handlungsfelder bzw. die unterschiedliche Stakeholder-Perspektive ein, wie Investor Relations, Interne Kommunikation, Public Affairs, Journalisten und Medien (sechs Beiträge). Teil 8 als letzter Teil geht auf die Ebene der konkreten Anwendungsfelder, wie zum Beispiel Change Kommunikation, Krisenkommunikation, CEO-Kommunikation, CSR-Kommunikation, Ligitation-Kommunikation (acht Beiträge).
Bei aller wertvollen Wegweisung und Orientierung und auch Inspiration, die diese zahlreichen Beiträge leisten, darf man die Frage stellen: fehlt etwas? Nun Zerfaß hat in einem Begleit-Interview zum Erscheinen des Handbuches selbst angesprochen, dass die Forschung wichtige Felder von Wirtschaft und Industrie mehr oder weniger ausklammert. Branchen mit Schmuddel-Image wie Wettspiel oder Erotik sind sicher keine Schlüsselindustrien, aber ökonomisch hoch erfolgreich. Wie auch die Rüstungs- und die Waffenproduktion. Und diese alle kommunizieren offensichtlich mit Erfolg, denn die "Licence to operate" ist ihnen nicht entzogen. Aber, wer erforscht das? Und Röttger betonte, im selben Interview, mit Recht, dass viele Bereiche der politischen Kommunikation noch kaum erforscht bzw. auch schwierig erforschbar sein, allein schon wegen des zumeist verschlossenen Quellenlage.
Die umfassende Herausforderung durch Datenmassen ist zwar in dem Buch durch die Herausgeber und in einigen wenigen Beiträgen durchaus angesprochen. Aber der Bedeutung von Big Data, KI, Algorithmen, Robotik, Virtual Reality sollte sicher in einer Folgeauflage in den kommenden Jahren noch mehr Raum gegeben werden. Es ist ganz deutlich, dass die Marketingkommunikation den Weg einer zunehmend personalisierten Individualansprache massiv ausbauen wird, basierend auf der Analytik des bisherigen Medienverhaltens. Aber, wird, soll das der Weg auch für die Unternehmenskommunikation sein? Oder wird diese vielmehr stärker in Gruppen denken bzw. in Kategorien von Teil-Öffentlichkeiten planen?
Was ebenfalls noch stärkere Beachtung verdient, wäre die kommunikative Auseinandersetzung mit Grassroots-Bewegungen wie Fridays for Future oder Letzte Generation. Hier werden viele Unternehmen gewiss noch stark schwimmen und die Wissenschaft sollte stärker in die Hilfestellung gehen.
Ein weiterer Aspekt, der zu kurz kommt, ist der Megatrend zur Bildkommunikation. Kommunikationsmanager denken vielfach zu einseitig in Texten und in Sprache. Aber große Teile des Publikums, vor allem des jüngeren Publikums, versinken zunehmend in einer Mediennutzung der Bilder und vor allem der Bewegtbilder. Was wären diesbezüglich erfolgreiche Kommunikationsstrategien? Dieses Feld darf nicht allein der Marketingkommunikation überlassen werden. Welche Antworten muss die Unternehmenskommunikation hier geben? Hier ließen sich Stimmen aus der Forschung zur visuellen Kommunikation bzw. der Imagery-Forschung sicher integrieren, vielleicht auch Verbindungslinien zu den Forschungsergebnissen der Neurowissenschaften ziehen.
Geschrieben wurden alle Beiträge vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Nun zeichnen sich deutliche Tendenzen zur Neuordnung der Welt, vor allem einer De-Globalisierung ab. Was bedeutet das für die Zukunft der Unternehmens- und Organisationskommunikation?
In diesen Bereichen lägen wichtige Zukunfts-Akzente, denen die Herausgeber in der vierten Auflage des Handbuches noch viel stärker Raum geben könnten.
An wen richtet sich das Buch vor allem? Da haben die Herausgeber klare Erwartungen formuliert. Und diese dürften sich erfüllen. Die potentiellen Leser-Zielgruppen sind mit Recht breit anvisiert. Unternehmensverantwortliche (Vorstände, Geschäftsführer, Inhaber) mit grundsätzlichem Blick auf die Strategie sind hier ebenso gut vorstellbar wie operativ verantwortliche Kommunikationsmanager. Aber in beiden Fällen solche, die weniger nach Checklisten suchen. Sondern solche, die vielmehr interessiert sind an der Schärfung ihres Tuns, in Richtung einer systematisch und umsichtig planenden Kommunikation mit einem 360 Grad-Blick auf diverse Stakeholder. Weiterhin dürften Lehrende aller Hochschul-Typen dankbar zu dem Buch greifen. Und künftig ist gewiss keine seriöse Seminararbeit oder Hausarbeit und erst recht keine Abschlussarbeit von Studierenden im Kontext der Unternehmenskommunikation denkbar, die nicht Beiträge dieses Handbuches aufgreifen, durchdenken und zitieren würde.
Das Buch ist in moderner Form publiziert. Es ist als Print erhältlich, aber die einzelnen Aufsätze sind auch einzeln downloadbar erwerblich, wie bisher schon in der 2014er-Auflage. Neu ist, dass die einzelnen Beiträge nun digital auf einer Verlagsplattform liegen, wo die Autoren ihre Aufsätze jederzeit um neue Aspekte ergänzen, aktualisieren und erweitern können.
Fazit: Auch in der 3. Auflage ist dieses Handbuch eine Benchmark, vielleicht sogar noch mehr als zuvor. Sein Erscheinen ist wirklich ein Ereignis. Es ist ein Standard-Werk im wahrsten Wortsinn. Es setzt Maßstäbe der Exzellenz, in der Wissenschaft genauso wie für die Praxis der Unternehmenskommunikation.
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Mai 2023 auf www.markus-kiefer.eu)
Empfehlung
Ansgar Zerfaß, Manfred Piwinger, Ulrike Röttger (Hg.), Handbuch Unternehmenskommunikation. Strategie - Management - Wertschöpfung, Springer Gabler, Wiesbaden 2022, 1056 S., ISBN 978-3-658-22932-0, 219,-- Euro