New Work - über die Zusammenarbeit und das Wertemanagement in Unternehmen von morgen
Wir stehen mitten in einem Wandel der Vorstellung, was Arbeit, Arbeitsplätze und Zusammenarbeit in Unternehmen von morgen ausmachen werden. Ein neues Praktiker-Handbuch greift dies auf und will einen Beitrag zur modernen Personal- und Organisationsentwicklung leisten.
Agilität ist als neue Zauberformel im Munde aller derer, die sich innovative und unbürokratisch agierende Unternehmen wünschen, die wiederum schnell handeln und Kundenwünsche ebenso wie sich dynamisch wandelnde Markt-Erfordernisse zeitnah umsetzen können. Unternehmen, die agil sein wollen, stehen heute vor vielschichtigen Herausforderungen. Diese betreffen die Unternehmensführung, die Mitarbeiterkommunikation, die Führungskräftekommunikation, die Personalentwicklung, die Organisationsentwicklung, die Unternehmenskultur u.a. Wir stehen vielleicht schon länger in der Mitte eines gravierenden Wandels der Arbeitswelt und in Beantwortung der Frage, wie wir denn die Arbeitsplätze der Zukunft organisieren sollten. Die Corona-Pandemie hat diese Diskussion noch einmal zusätzlich befeuert. Denn sie hat uns vor Augen geführt: Dieser Wandel wird vor allem durch digitale Prozesse gestützt und ermöglicht - oder aber er findet gar nicht erst statt. Für diesen Wandel steht ein weiteres Buzz-Wort: New Work.
In dieser Situation kommt ein Buch wie das hier anzuzeigende genau recht. Vorgelegt hat es Götz Piwinger. Der heute als Professor für Organisationslehre wirkende, erfahrene Manager und Berater hat zwar schon einiges publiziert, aber hier erstmals ein ganzes Buch zu seinem Verständnis von "New Work" vorgelegt, der in einem Masterplan zur Umsetzung gipfelt. Mit diesem schließt das Buch ab. Der Autor hat es selbst entworfen und ihm dem Namen "New Work Management Action Plan" gegeben - mit dem Anspruch, dass der Ansatz durchaus auf alle mehr oder weniger großen Unternehmenstypen passt. Piwinger ist Hauptautor, hat aber das Buch nicht allein geschrieben, sondern sich erfahrene und in der Wissenschaft sehr etablierte namhafte Mitstreiter gesucht und gefunden. Das gilt insbesondere für die Universitätsprofessoren Dr. Werner Sauter - der an der Steinbeis University Berlin E-Business und Management lehrte; eine feste akademische Größe im Themenfeld von Kompetenz- und Kompetenz-Messung - und Dr. Matthias Gouthier - Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und elektronische Dienstleistungen an der Universität Koblenz-Landau. Hinzu kommen weitere Hochschullehrer, vor allem aber Trainer, Praktiker und Coaches. Das unterstreicht den Charakter eines Praxishandbuches und genau dieses will das hier Publizierte auch sein. Es hat erkennbar substantiellen wissenschaftlichen Background, ohne den Leser in einem Fußnoten-Gewimmel zu erdrücken. Das hat natürlich auch ein bisschen damit zu tun, dass die Autoren hier Eigenwerbung machen und vor allem auf selbst erarbeitete Modelle rekurrieren. Aber der Ausweis eigenständiges Denken, das ist nun wirklich nicht das Schlechteste, was sich über ein neues Fachbuch zu einem sehr modernen Thema sagen lässt.
Zu den Kapiteln, die Piwinger nicht allein verfasst hat, gibt es zunächst stets eine fachliche Einleitung aus seiner Feder, in einer frischen, manchmal forschen Sprache, die auch mit Kritik vor einer vielfach beobachtbaren, von der Zeit überholten Unternehmens-Realität nicht spart. Seine Ko-Autoren und Autorinnen führen die Kapitel dann inhaltlich in die Tiefe.
In Einleitung und Kapitel 1 sortiert der Hauptautor des Buches die zentralen Begriffe und sorgt für sprachliche und gedankliche Klarheit des Grund-Themas: "New Work bedeutet eine neue Unternehmens- und Arbeitskultur. Sie entsteht im Zusammenspiel von Werten und Kompetenzen. Sie forciert eigenverantwortliches Handeln" (S. 13). Als wesentliche Elemente erklärt und beschreibt er kompakt: Neuartige Räume, Mobiles Arbeiten, flache Hierarchien, Vernetzung, IT- und KI-gestützte Prozesse und Umgebungen, Freie Arbeitszeit, Vertrauen, Motivation, Selbstbestimmte Weiterbildung u.a. Und die Konsequenz: "Denn New Work ist Unternehmens- und Führungskultur, die in ihre Einzelteile zerlegt werden muss, um einen beweglichen Organismus zu schaffen, dessen Schwarmintelligenz auf Werten und Vertrauen basiert" (S. 19).
Folglich geht es zu Beginn vor allem um Werte und das Wertemanagement in Unternehmen. So ist nur konsequent, dass das Thema im Mittelpunkt direkt des zweiten Buchkapitels steht. Ein modernes Kompetenz-Verständnis, dies klärt Piwinger einleitend, setzt sich zusammen aus Qualifikationen und Werten. Und wie man die passenden für die jeweilige Organisation ermittelt und misst, das klären in den Folgeaufsätzen vor allem Roman und Werner Sauter. Dabei greifen sie auf den Klassiker KODE zurück, ein Werte-Erfassungs-System, das Werner Sauter selbst mit seinem Kollegen John Erpenbeck schon vor längerer Zeit erfunden und mehrfach publiziert hat. Dieses wissenschaftlich etablierte und auch oft zitierte Modell ist selbst angelehnt an einen Wissenschafts-Klassiker der Psychologie, das 16-Lebens-Werte Schema, das Steven Reiss in den 90-er-Jahren vorgelegt hat und das bis heute weltweit einflussreich ist. Im KODE-Modell sind diese 16 Werte noch einmal in vier Dimensionen zusammengefasst: Genuss-Werte, Nutzen-Werte, ethisch-moralische Werte, weltanschauliche Werte.
Wertemanagement in Unternehmen verstehen die Autoren als "System von Maßnahmen zur Gestaltung, Steuerung sowie Weiterentwicklung der selbstorganisierten Werteaneignung und -entwicklung auf individueller, -team- und organisationsbezogener Ebene, um die strategischen Ziele der Organisation zu erreichen" (S. 33). Der Prozess der Erfassung dieser Werte (Vom IST zum SOLL), der Veränderung des Denkens und Handelns und der Internalisierung dieser Werte im Arbeitsprozess wird nun detailliert ausgerollt. Deutlich wird die zentrale und aktive Rolle, die hier moderne Führungskräfte ganz neu für sich erarbeiten müssen. Und auch, wie stark es auf die Eigenbeteiligung der Belegschaften ankommt. welche modernen Kommunikations-Formate hier besonders geeignet sind, wird ebenfalls gut erläutert. Namentlich "Barcamps" können hier wertvolle Dienste leisten. Da sie als neuartige Konferenzformate offene Treffen mit einer Vielzahl von Workshops mit kurzer Dauer anbieten, in denen die Themen von den Teilnehmern selbst vorgeschlagen und moderiert werden. Der ergänzende Aufsatz der Management-Trainerin Petra Richard geht auf die spezifische Rolle von Coaches im Werte-Management-Prozess ein, wobei sie dankenswerterweise das 16-Lebens-Werte-Profil von Steven Reiss noch pointierter, mit noch mehr inhaltlicher Kommentierung in Erinnerung bringt als der vorangehende Aufsatz. Möglicherweise wäre in einer Überarbeitung des Buches die Umstellung der Reihenfolge dieser Beiträge ein Schritt zur höheren Stringenz von Aufbau bzw. Struktur des Buches.
Kapitel 3 widmet sich dem Komplex "Kompetenz". Piwinger führt gut ein und definiert pointiert: "Qualifikation + Werte + emotionale Handlungserfahrung = Kompetenz" (S. 55). Aber, wie werden Kompetenzen entwickeln, gemessen, gemanagt? Das klären wiederum Sauter und Sauter, wobei sie auf die etablierten Standwerke von Heye/Erpenbeck und Erpenbeck/Sauter aufsetzen und diese kompakt zusammenfassen. Und sie stellen mehrfach klar: Hier geht es um Handlungs-Kompetenzen, nicht um Persönlichkeits-Merkmale. Und Handlungs-Kompetenzen lassen sich erlernen und erwerben. Das Ganze funktioniert allerdings nur und die Autoren betonen es, im Kontext eines eigenständigen und eigenverantwortlichen Kompetenzerwerbs: "Kompetenzen sind Fähigkeiten, in offenen, unüberschaubaren, komplexen, dynamischen und zuweilen chaotischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln" (S. 60). So weit durchaus schon Bekanntes kurz zusammenfassend, werden Sauter und Sauter im zweiten Kapitel innovativ, wenn sie bei der Kompetenzentwicklung die unbedingte Notwendigkeit der Digitalität betonen und dabei ausführlich auf den Beitrag von Blended Learning und neuerdings von "Social Blended Learning"-Konzepten eingehen. Das Weiterentwicklungs-Potential durch Einbezug von Social Media-Mentalität, wirksam durch gemeinsame Arbeit in Blogs, Lern-Tagebüchern und Wissensspeichern u.a., wird hier wirklich eindrucksvoll aufgezeigt.
Die Folgekapitel gehen nun stärker auf die Aspekte von Kommunikation und Information ein. In Kapitel 4 erklärt Piwinger auf faszinierende Weise, wie wirksam Künstliche Intelligenz (KI) individuelle Weiterbildungs-Konzepte maßgeschneidert unterstützen könnte. Erneut Sauter und Sauter erklären die neue Rolle der Führungskraft als "Lernbegleiter". Und in Kapitel 5 zeigt Piwinger den notwendigen Wandel von Wissens- und Informationsmanagement auf. Weg von der desorientierenden E-Mail-Flut und hin zu den neuartigen Formen von gemeinsam geteilten Wissens- und Dokumentations-Management, so die gut argumentierte und bespielhaft untermauerte Forderung. Und dieser Innovationsgehalt in Bezug auf kommunikative Aspekte wird fortgesetzt in Kapitel 6. Dort geht es um (Service-) Exzellenz. Piwinger präsentiert und plädiert für Möglichkeiten einer permanenten Messung von Mitarbeiter-Zufriedenheit und Matthias Gouthier zeigt ein Modell der Internen Service-Exzellenz in den drei Dimensionen interne Service-Orientierung, interne Service-Qualität und Mitarbeiter-Stolz. Das sind spannende und innovative Passagen des Buches.
Das Gleiche lässt sich auch für das - etwas zu kurz geratene - Kapitel 7 über die Konsequenzen für die Personalentwicklung und das Kapitel 8 über die Unternehmenskultur und die Aufgabe des Top-Managements sagen. Hier ragen, neben anderen Beiträgen, jeweils Piwingers Vorschläge und Forderungen nach einem Weg weg von den statischen, vielleicht schon antiquierten Mitarbeiter-Jahresgesprächen und Überlegungen hin zu einer Umstellung auf flexible, kontinuierliche, digitale Formen von Mitarbeiter-Gesprächen deutlich heraus. Hier hätte man sich ein Mehr an Volumen zu diesem sehr einleuchtenden, spannenden Ansatz erhofft und dies ließe sich in Folgeauflagen vielleicht noch stärker ausarbeiten. Es ist ein besonders fruchtbarer, anregender Teil der Publikation, für den beispielhaft diese Passage steht: "Im neuen Format der Mitarbeitergespräche finden sich verschiedene Module wieder. Neben der regelmäßigen Kompetenzmessung und -entwicklung werden auch das Werteverständnis und die persönlichen Entwicklungsschritte diskutiert. Die Fortschritte liegen größtenteils bereits vor dem eigentlichen Gespräch im System bereit, so dass sich die Gesprächspartner ... optimal vorbereiten können und die Dauer des Austausches damit deutlich optimiert wird" (S.155). Die neuen Möglichkeiten, aber zugleich auch Bedeutung und Verantwortung einer topfitten IT des Unternehmens, und dies ist ein roter Faden im Buch, werden eindrucksvoll vor Augen geführt.
Die präsentierten Überlegungen münden im Abschluß-Kapiel 9 in einem eigenen Modell, das der Berater-Praxis dienen soll. Es ist der vom Hauptautor entwickelte, anfangs der Rezension erwähnte Masterplan zur Umsetzung. Im Kern geht es bei diesem "New Work Management Action Plan" um einen systematischen, vor allem von der Unternehmens-IT getragenen und digital umgesetzten Prozess mit einem Dreifach-Zweck: a) das Teilen von Wissen, b) die Implementierung einer zeitgemäßen, werte-basierten Unternehmenskultur und c) ein optimiertes Dokumenten-Management.
Ein kurzes Glossar, eine umfangreiche Literaturliste runden das Buch, dessen Käufer mit einem gedruckten QR-Code sich weiteres Material online erschließen, trainieren, anwenden kann.
Markus Kiefer
Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Mai 2022 auf www.markus-kiefer.eu
Empfehlung
Götz Piwinger, New Work für Praktiker. Das unverzichtbare Handbuch für die Personal- und Organisationsentwicklung, Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2021, 186 S. ISBN 978-3-7910-5119-2, Euro 39,95