Starke Signale - in der systemischen Kommunikation

Rezension zu einem aktuellen Fachbuch über systemische Kommunikation im Carl-Auer Verlag, mit seinen Stärken und mit dem, was man sich als Leser noch zusätzlich erhofft hätte.

"Starke Signale" ist ein starker Buchtitel. Aber, ist es auch ein starkes Buch, was Michel Reimon hier auf 270 Seiten ausbreitet? Nun, das Urteil sollte sich vielleicht entlang der Frage entfalten, was man von einem erfahrenen Politiker als Autor erwarten darf, wenn er sich Themen der systemischen Kommunikation zuwendet, noch dazu in einem Buchverlag wie Carl Auer, der eine starke Qualitäts-Position in psychologischen Themengebieten hat.

Michel Reimon war ein aktiver Grünen-Politiker in Österreich bis 2019. Dann schied er aus dem Europaparlament aus bzw. trat nicht erneut zur Wiederwahl an. Er war auch Landtagsabgeordneter im Burgenland und Nationalrat. Seitdem ist er als Kommunikationsberater aktiv.

Mit Blick auf diesem Hintergrund ist es eher überraschend, dass Reimon ein Buch vorlegt, das in ganz weiten Teilen aus Theorie besteht. Sein Anliegen ist es zu zeigen, wie ein Sender starke (Kommunikations-) Signale erzeugen kann, um beim Adressaten wirksam zu werden. Das Ganze tut er im Kontext von Systemtheorie und Konstruktivismus. Ihm geht es darum zu verdeutlichen, dass (aktuelle) Kommunikation nur für sich alleinsteht, sondern immer schon eine Vorgeschichte hat und unter Rahmenbedingungen stattfindet. Neu ist das nicht, man kennt das spätestens seit Watzlawick. Den erwähnt Reimon zwar nicht, wohl aber baut er seine Ausführungen auf den Urvätern der Systemtheorie (Luhmann), des Konstruktivismus und des radikalen Konstruktivismus auf (von Foerster, von Glasersfeld), den Erkenntnissen von moderner biologischer Forschung (Maturana), Hirnforschung (Pöppel), Neurokommunikation (Tomasello) und vor allem der Kognitionspsychologie (Kahneman, Tversky) und der Verhaltensökonomik auf. Auch ältere Lerntheorien (Skinner, McClelland) sind mit ihren bekanntesten Forschungsergebnissen herangezogen.

In Summe kommt dabei ein solider Grundkurs heraus, wie menschliche Wahrnehmung, wie Denken, wie Entscheiden funktionieren - und wie das alles beeinflussbar ist. Wie das Zusammenspiel zwischen Arbeitsspeicher und Langzeitgedächtnis vorstellbar ist. Wie Gefühle und Motivation adressiert werden können. Wie mentale Landkarten entstehen und funktionieren. Das hat ein einigermaßen kundiger Leser zwar schon oft andernorts gelesen. Für den weniger Kundigen und dessen mögliche Erwartungshaltung kann man die für ihn zu erwartende Lektüre vielleicht so charakterisieren: Das ist ein solider gedruckter Volkshochschulkurs für ein gehobenes Publikum in einer Bildungseinrichtung mit Anspruch. Dieses Urteil ist keineswegs zynisch oder abwertend gemeint, sondern will das Vorgelegte realistisch einstufen. Schließlich ist es ja auch in der Verlagsreihe "Fachbuch für jeden" erschienen. Das passt. Reimon ist langjähriger Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Man kann sich das Buch darüber hinaus durchaus vorstellen als ergänzende Lektüre zu Erstsemester-Grundkursen für studentische Anfänger in Bachelor-Studiengängen in Wirtschaft oder Wirtschaftspsychologie.

Mehr ist es aber auch nicht. Zwar steigt Reimon mit einem beeindruckenden Beispiel aus seiner Politikerpraxis ein, als er mit einem bewusst zugespitzten abendlichen Fernsehinterview den damaligen österreichischen Außenminister Sebastian auf eine Folgeentscheidung am nächsten Morgen nahezu zwangsläufig programmierte. Aber diesem eindringlichen Beispiel folgen leider kaum noch weitere Beispiele aus seiner längeren politischen Vita. Dabei wäre doch gerade das im Kontext eines solchen Kommunikationsbuches reizvoll. Wie wären starke kommunikative Signale in kurzen Statements für Fernsehformate richtig, wie bereitet man starke Interventionen in Fernseh-Talkshows vor, wie fasst man Gremiensitzungen vor der Presse zusammen, wie steigt man in Fraktionssitzungen ein, in denen man von seinen Kolleginnen und Kollegen bestimmte Beschlüsse erwirken möchte? Da hätte man sich weit mehr Praxis-Beispiele erhofft, die der erfahrene Autor auch ganz sicher liefern könnte. Dafür hätte er gut auf viele schon bekannte Beispiele verzichten können, die er aus den Schlüsselwerken der von ihm zitierten prominenten Forscher liefert.

Das sprachlich flüssig geschriebene Buch hat seinen innovativsten Teil auf den letzten Buchseiten. Dort, beginnend auf S. 264, präsentiert der Autor die aus seiner Sicht wichtigsten Chunks, die Kommunikation ausmachen und die er zuvor in den insgesamt acht Buchkapiteln beschrieben hat. Chunks sind Bündel von Informationen, die in unseren Hirnregionen abspeicherbar und aktivierbar sind. Es sind insgesamt 52. Diese sind wirklich wunderbar zugespitzt und geradezu meisterhaft formuliert. So anregend, dass sie Gespräche und Diskussionen in Lernsituationen durchaus eröffnen könnten. Zum Beispiel Chunk 40: "Im Zweifel entscheiden wir gegen Veränderung. Erzähle Deine Pläne so, dass das Gute gewahrt bleibt" (S. 267). Oder Chunk 46: "Eine Information zu suchen, bedeutet hohen Aufwand. Wer sich am leichtesten finden lässt, liefert sie uns" (ebd.). Oder Chunk 51, der wie die Faust aus Auge zu unserer konflikthaltigen Politik-Kommunikation der Gegenwart passt, hier verkürzt zitiert: "Gib bei einer Kooperation jede Information wahr weiter. Gib im Konflikt gar keine Information oder nur falsche weiter" (S. 268). Oder Chunk 16: "Bündelung durch Wiederholung wirkt stärker mit Belohnung und Bestrafung" (S. 265). Diese viereinhalb Seiten Chunks haben es in sich und wären in Thesenpapierform sicher geeignet, jedes Kommunikations-Einführungsseminar so zu öffnen, dass die Teilnehmer schnell involviert werden und auf Betriebstemperatur kommen.     

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Oktober 2025 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung

Michel Reimon, Starke Signale. Systemische Kommunikation, die zum Ziel führt, Carl- Auer-Verlag, Heidelberg 2025, ISBN 978-3-4897-0575-6, 270 Seiten 

 

 

Erschienen am 15/10/2025 08:08
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
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