Über laut und leise, über groß und klein
Raumverhalten und Sprechlautstärke geben Auskunft über die über Persönlichkeit und Charakter.
Ich habe mich immer schon für Raumverhalten interessiert. Sie auch? Wenn eine größere Gruppe in einem Raum bereits zusammen ist. Sei es zu einer Party, zu einem Empfang, zum Get-together vor Veranstaltungsbeginn. Was machen die, die neu den Raum betreten? Oder, wenn ich dazu komme und bereits viele im Raum sind, schaue ich gern: Wo ist das Zentrum, um wen scharen sich die Leute?
Über Roland Kaiser gibt es unterschiedliche Meinungen. Gerade ist er siebzig geworden, fast jeder Deutsche kennt ihn, seine Konzerte sind in in kürzester Zeit ausverkauft. In seiner Frühzeit nannte man ihn despektierlich den Pornographen des deutschen Schalgers. Heute, nachdem er viele Gesundheitsrückschläge mit beeindruckenden Comebacks weggesteckt hat, füllt er fast die Lücke aus, die der verstorbene Udo Jürgens beim Publikum hinterließ. Man nennt Kaiser heute anerkennend den Schlagerphilosophen.
Verstehen kann ich das. Denn auch ich verdanke ihm die ein oder andere tiefgründige Einsicht. In seiner - für mich - überraschend tiefgründigen und sehr persönlichen Autobiographie ("Sonnenseite") fand ich diese bemerkenswerte Erkenntnis über das Raumverhalten von Menschen, gewonnen aus einer geballten, geronnenen Lebenserfahrung:
" Joachim Fuchsberger, Hans Rosenthal, Gert Fröbe, Curd Jürgens, Peter Ustinov, Senta Berger, Iris Berben, Milva, Daliah Lavi, Mary Roos, aber auch Willy Brandt und Mildred Scheel - sie alle waren, was ich schon an Catarina Valente bewundert hatte: höchst professionell und dabei aufmerksam, höflich, klug. Sie betraten einen Raum, sie füllten ihn, ohne das geringste Gewese um sich zu machen. Sie waren souverän. Die Großen sind leise. Laut und abgehoben sind die Kleinen."
Die Großen sind leise, die Kleinen sind laut. Ein Zusammenhang, den ich zwar schon öfter gefühlt hatte. Aber nie so unnachahmlich hätte auf den Punkt bringen können wie der Schlagerstar. Aber ich kann dies meinerseits kombinieren, mit einer eigenen Kommunikations-Beobachtung. Bestimmt sind Ihnen schon oft leise sprechende Menschen begegnet. Sie sprechen leise, oft, manche immer- aber aus ganz unterschiedlichen Gründen. Da sind die vielen Verängstigten und Unsicheren, die Introvertierten und die Menschenscheuen. Sie sprechen leise, weil sie davon ausgehen, dass sie eigentlich nichts zu sagen haben oder sogar aus Angst, das Falsche zu sagen - oder weil ihnen vielleicht die Falschen zuhören. Manche vielleicht, weil es ihnen sogar ganz lieb wäre, wenn sie nicht gehört oder überhört werden.
Aber dann gibt es die anderen, die leise sprechen, weil sie wissen, die anderen wollen sie und ihre Stimme hören. Und sie sprechen leise, damit die anderen noch genauer und konzentrierter zuhören. Sie müssen nicht brüllen. Vielleicht gilt auch hier die Erkenntnis von Roland Kaiser, im übertragenen Sinne: Die wirklich Großen sind keine Lautsprecher. Sie brauchen kein Megaphon. Die Großen sprechen leise. Und das vor allem, wenn sie die anderen auf den Weg zu den wirklich wichtigen wegweisenden Gedanken mitnehmen wollen.
Markus Kiefer
(Kolumne von Markus Kiefer vom 1. Juni 2022 auf www.markus-kiefer.eu)