Unerbetenes Feedback
Feedback ist ohnehin schon eine heikle Sache, wenn es erbeten ist. Wie aber ist es mit unerbetenem Feedback? Soll man es überhaupt tun?
Feedback geben ist eine heikle Sache. Klar, es wird heute schon fast gebetsmühlenhaft gefordert, als fester Bestandteil einer offenen Führungskräftekommunikation. Führungskräfte sollen es mehr denn je und häufiger denn je geben. Und sie sollen sich auch selbst kritischem Feedback ihrer Mitarbeiterinne und Mitarbeiter, ihrer Teams stellen.
Das verlangt allein schon eine Menge an Mut, an Souveränität, ein Feingefühl und Formulierungskunst, von allen Beteiligten. Von Feinkenntnissen in Bezug auf die Besonderheiten des Feedbackgeben im Unternehmens- und Organisationszusammenhang einmal ganz abgesehen.
Dies alles betrifft aber Feedbacks in einem Rahmen, wo es erwartet wird, wo es verlangt wird. Wo es vielleicht sogar schon normierter Teil einer Regelkommunikation wird.
Wie aber verhält es sich mit unerbetenem Feedback? Unabhängig von der Frage, ob im privaten oder beruflichen Kontext, stellt sich die Frage: Soll man es überhaupt geben? Feedback berührt, vor allem wenn es Grundsätzliches anspricht, immer auch sehr deutlich die Ebenen von Beziehungen und Emotionen. Da kann schon ein Halbsatz mehr als Irritationen auslösen.
In der Fach- und Ratgeber-Literatur ist die Antwort auf diese Frage ziemlich eindeutig. Unerbetene Ratschläge sollte man nicht geben. Sondern immer erst dann, so sagt vor allem die Psychologie, wenn eine betroffene Person eigene Defizite spürt, sie als hinderlich oder schädlich empfindet und dann um Hilfe per Feedback bittet. Somit auch deutlich und verbal zu erkennen gibt, dass eine kritische Rückmeldung ausdrücklich erwünscht ist.
Ich verstehe diese Position der Psychologie durchaus. Es ist, sozusagen, die sichere Karte. Allerdings trifft sie nach meiner Lebenserfahrung oft nicht die Realität. Sie setzt nämlich voraus, dass eine betroffene Person die Fähigkeit und den Mut hat, um ein dringend nötiges Feedback zu bitten - und dies dann auch noch adäquat sprachlich in eine Bitte kleiden zu können. Viele Menschen können das aber gar nicht. Ihnen fehlen alle Voraussetzungen. Vielleicht auch weil sie völlig introvertierte, schüchterne oder ängstliche Leute sind. Die gar nicht über die Hürde der Bitte oder Frage hinweg kommen - obwohl sie es gern möchten. Und manchmal ist es auch die fast greifbare Scheu, sich vor einem älteren und erfahrenen Profi eine vermeintliche Blöße zu geben.
Ich habe mir daher im Lauf der Jahre abgewöhnt, die reine Lehre der Psychologie zu befolgen. Ich versuche im Gegenteil, wenn ich in meiner Tätigkeit als Hochschullehrer, als Dozent, als Coach auf solche Menschen treffe, mein volles Empathie-Potential in solche Situationen einzubringen. Und wenn ich spüre, dass die Bitte meines Gegenübers um Feedback nicht raus kann, obwohl sie raus will, dann mache ich es: ich gebe unerbetenes Feedback. Bislang hat das noch nie erkennbare Schäden produziert. Aber manches geheilt. Ich werde meine Haltung beibehalten.
Markus Kiefer
(Kolumne vom 1. Februar 2022 auf www.markus-kiefer.eu)