Zeitgemäße Führungskräftekommunikation: Teambuilding und Netzwerk-Denken

Mit betriebswirtschaftlicher Führung nach Taylor (1880 ff.) dürften noch heute viele Unternehmen arbeiten. Jedoch, das klappt immer seltener und zeitgemäße Führung sieht anders aus. Ein hoch dekorierter US-General erklärt, wie moderne, netzwerkartige Teamführung geht - und zwar auch in sehr großen Organisationen.

Im Topmanagement sind gedankliche Anleihen bei Militärs seit langem weltweit populär. Obwohl schon lange nicht mehr unter den Lebenden, die Strategeme chinesischer Generäle (Sunzi, Tan Daoji) oder Führungsprinzipien preußischer Offiziere (Clausewitz) dürften auch heute noch in vielen Management- und Führungskräfteseminaren einen gewichtigen Platz einnehmen.

Wie wäre es aber zur Abwechslung mit der Anleihe bei einem noch Lebenden? Stanley McChrystal zum Beispiel. Der hoch dekorierte Vier-Sterne-General ist heute Management-Berater. In seiner letzten aktiven militärischen Funktion war er Befehlshaber sowohl der US-amerikanischen als auch aller anderen internationalen Streitkräfte in Afghanistan, zuvor Kommandant der militärischen Spezial-Kommandos im Irak. 

Aus diesen Erfahrungen ist das hier anzuzeigende Buch geschrieben, gemeinsam verfasst mit zwei seiner ehemaligen Offiziere und heutigen Beraterkollegen sowie einem seiner akademischen Schüler von der Yale University, wo McChrystal Leadership lehrt. Als der Top-Militär das Kommando im Irak übernahm (2003), waren die bestens ausgebildeten und ausgerüsteten US-Kräfte auf dem Weg, gegen Al Quaida zu verlieren. Der militärisch unterlegene Gegner, dezentral organisiert, aber sehr wendig, flink, die Macht moderner Mobilgeräte und Social Media geschickt ausnutzend, wurde mit seinen Terroranschlägen immer erfolgreicher. Die US-Militärs, im klassischen Stil Top down-geführt, mit genauesten Anweisungen ausgestattet, aber in den zahlreichen beteiligten einzelnen Organisationen nur schlecht oder sogar gar nicht abgestimmt, viel zu stark in Silo-Denke und im strikten Wahren von militärischen Geheimnissen verharrend, kamen immer öfter viel zu spät. Der Gegner hatte zugeschlagen und war schon längst anderswo, während seine machtvollen Bilder und Filme der Anschläge per Social Media zur Bevölkerung durchdrangen und die Ohnmacht der Besatzungstruppen in der Öffentlichkeit vorführten.

Der rote Faden dieses Buches ist die Erzählung eines eindrucksvollen Management-Turnarounds, in Bezug auf Strategie und Kommunikation. Und alles begann mit einem denkbar radikalen Kulturwandel, der einer Operation am offenen Herzen gleicht - denn die militärische Arbeit konnte ja nicht einfach stillstehen. Zu überwinden war das etablierte "Need to know"-Prinzip, in dem sich die unterschiedlichen Beteiligten nur immer die absolut nötigste Information teilen. Zu überwinden war das klassische Mikromanagement des Militärs, in dem der Ranghöchste alle Entscheidungen selbst trifft und den Führern seiner Einheiten bis ins Detail vorgibt, was sie zu tun haben - und diese Ausführungen dann adäquat kontrolliert. Mitdiesem Führungsstil war der Gegner nicht mehr zu besiegen.

McChrystal drehte die ganze Richtung. Dies waren, es sind seine Prinzipien: Mehr Selbstverantwortung und volle Entscheidungsbefugnis für die operierenden Teams. Nicht mehr den kommandierenden General um Erlaubnis für jede einzelne Entscheidung vor Ort fragen, aber ihn nachträglich sauber informieren. Eine Vertrauenskultur schaffen, die für den Austausch der unterschiedlichen militärischen und geheimdienstlichen Einheiten sorgt. Das Silodenken überwinden. Für Transparenz sorgen, möglichst alle Informationen miteinander teilen. Bei allen den Blick auf das Ganze schärfen, nicht nur der jeweiligen speziellen Operation, sondern in Kenntnis und mit Blick auf die strategischen Oberziele des Militäreinsatze in Gänze. Eine Haltung, die nicht nur den Erfolg an einem bestimmten Tag, an einem Ort schafft, sondern das komplexe System als Ganzes kennt und im Blick behält. 

Zu erschaffen war das, was der Gegner bereits hatte, ein effizientes Netzwerk, ein "Team of Teams". Persönliche Verbindungen, wo sich vielleicht nicht jeder so gut kennen muss, wie alle Teammitglieder in einer kleinen Spezialeinheit untereinander. Aber wo es doch zumindest immer ein Teammitglied gibt, das eines aus dem anderen Team persönlich kennt - und weiß, dass er ihm voll vertrauen darf. McChrystal schaffte das u.a. durch das Prinzip der "Embedded"-Botschafter. Auf begrenzte Zeit wurde ein einzelner aus einem Team zu einer auf andere Aufgaben spezialisierten Einheit abkommandiert, lernte deren Arbeitsweise und Denke kennen sowie die Anführer - und war nun für künftige Kommunikation ein bekanntes Gesicht, eine vertraute Stimme, eine vertrauenswürdige Person. Das Knüpfen eines breiten und vertrauenswürdigen Netzwerkes nahm Fahrt auf.

Die Autoren beschreiben sowohl ihr anfängliches Scheitern als auch den späteren Erfolg der gewandelten Führungsprinzipien am Beispiel ganz konkreter Operationen, wie beispielsweise bei der Ausschaltung des strategischen Al Quaida-Anführers im Irak. Dies war nur möglich als Folge einer völlig gewandelten Zusammenarbeit und gegenseitiger Echtzeit-Information zahlreicher, kommandierender Spezialkräfte.
Natürlich änderte sich gleichfalls die Rolle und die Kommunikation des Oberbefehlshabers. Am Ende war General McChrystal nicht mehr eine Figur, zu der alle aufblickten mussten, um das Abnicken einer Entscheidung zu bekommen. Am Ende war es eine Führungspersönlichkeit, die eine tägliche virtuelle Lage-Video-Konferenz mit zeitweise 7.000 (!) Beteiligten, mit bis zu 2 Stunden Länge, wirkungsvoll moderierte, in der wirklich jede und jeder gefragt und motiviert war, seinen Beitrag, seine Information, seine Problemlösung einzubringen - wenn er denn etwas hatte, was anderen am andern Ort oder dem gesamten System konkret weiterhelfen konnte: "Für einige Management-Theoretiker klingt das wie alptraumhafte Ineffizienz, aber die Informationen, die ausgetauscht wurden, waren so reichhaltig, so zeitnah und so relevant für den Kampf, dass niemand sie verpassen wollte" (S. 179). Probleme wurden so in Echtzeit gelöst, der Blick aufs Ganze und das Verständnis des Top-Führungsteams geschärft und zugleich die Ermutigung verbreitet, ähnliche Probleme künftig selbständig und ohne Bitten um Freigaben anzugehen.

Allein diese Seiten machen das Buch zu einer innovativen, ungemein wertvollen Quelle moderner Führungskräftekommunikation. Wenn diese neue Form der Führung im Militär, das klassischerweise, aus guten Gründen, eher mit strikter Geheimhaltung operiert, dann kann das auch in weltweit operierenden Konzernen funktionieren. Wenn sie denn bereit sind, ihre Bedenken abzulegen

Die Radikalität der geschaffenen Kultur lässt sich mit einem Wortlauf-Zitat aus dem Buch verdeutlichen: "Wir brauchten eine Transparenz, die jedes Team mit einem ungehinderten, konstanten, aktuellen Blick auf den Rest der Organisation versorgte. Es ist die Art Transparenz, die diejenigen, die in komfortablen, bürokratischen Silos sitzen, unbequem finden. Aber es wäre für unsere Fähigkeit, als Team of Teams zusammenzuwachsen und erfolgreich zu sein, unabdingbar" (S. 175). Wie weit darf man dabei gehen, mit Blick auf sehr sensible Vorgänge? Dazu McChrystals radikale Antwort zu der von ihm geforderten Kultur des Teilens: "Unsere ständige Leitlinie war: Informationen solange teilen, bis man befürchtet, es sei illegal" (ebd.) 

Nicht zufällig ist das Buch in Deutschland in einem führenden Verlag für betriebswirtschaftliche Literatur erschienen. Es ist alles andere als ein rein militärisches Buch. McChrystal und seine Mitautoren kennen die Welt der Wirtschaft und anderer Großorganisationen. Sie bringen unterschiedliche Erfolgsbeispiele, wo die von ihnen am Ende praktizierte radikale Form der Vernetzung von Teams, des Aufbaus von Vertrauen und des Teilens von Informationen bereits früher gegriffen hatte. Zum Beispiel bei der Apollo-Mission der NASA, beim Führungs- und Kommunikationsstil von New Yorks Bürgermeister Bloomberg, der die New Yorker Stadtverwaltung umkrempelte und aus einer neuen Großraum-Büro-Struktur führte, in dem er selbst saß und arbeitete. Oder beim erfolgreichen Turnaround Management von Ford-CEO Mulally oder beim generellen Management des Nordstrom-Konzern (US-Kette).

Und die Autoren kennen auch die betriebswirtschaftlichen Klassiker. Selten hat der Rezensent eine so gekonnte, scharfe Analyse des Taylorismus gelesen, der Organisation von Betrieben nach messerscharfen Vorgaben im Detail und entsprechender Kontrolle, mitsamt dem dahinterstehenden problematischen Menschenbild, das Arbeiter nur als Rädchen im Getriebe sieht, die nicht-selbstverantwortlich Anweisungen ausführen. Aber auch das Wissen von akademischen Größen wie Management-Vordenker Peter F. Drucker, Gary Hamel, Elisabeth Moss Kanter, Peter Senge und MIT-Professor Sandy Pentland und vielen anderen sind erkennbar verarbeitet.

Fazit: Über Netzwerkbildung und die damit einhergehende Kommunikation ist in den vergangenen Jahren schon viel Kluges publiziert worden. Und vom Rezenten auch gelesen worden. Verstanden, worauf es bei Netzwerk-Kommunikation wirklich ankommt, hat er es erst mit diesem Buch. 

Markus Kiefer

(Kolumne von Markus Kiefer vom 15. Mai 2021 auf www.markus-kiefer.eu)

Empfehlung:

Stanley McChrystal mit Tamtum Collins/David Silverman/Chris Fussell, Team of Teams. Wie Organisationen ihre Anpassungsfähigkeit in einer komplexen Welt verbessern können, Vahlen, München 2020, 292 S.

Erschienen am 15/05/2021 08:22
von Markus Kiefer
in der Kategorie : Für Sie gelesen
Teilen :